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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben
Autoren: K Hartmann
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des gesamten Lebens vor dem Arbeitsamt. Wer Hartz IV for fun betreibt, bleibt schließlich in seiner Wohnung, geht arbeiten, behält das Auto vor der Tür und freut sich auf den nächsten Urlaub. Von den Hartz-IV- Fastern war niemand gezwungen, Kleider aus zweiter Hand in Kleiderkammern zu kaufen, bei Tafeln Essen zu holen oder zu verzweifeln, weil die Waschmaschine kaputt ist. Niemand musste Depressionen bekommen oder die letzten Tage des Monats hungern, weil kein Geld mehr da war. Niemandem wurden kriminelle Absichten unterstellt, weil er einen Antrag falsch ausgefüllt hatte. Niemand musste mit Sanktionen oder Abzug rechnen, wenn er »zumutbare Arbeit« ablehnte. Kein Hobbyhartzer musste sich vor seinen Freunden schämen. Im Gegenteil: Er konnte ihnen auch noch eine gute Geschichte erzählen. Und vielen konsummüden Menschen diente der Verzicht womöglich zur seelischen Reinigung. Die Presse sprecherin sagt: »Es ist wenig Geld, klar. Aber man kann schon damit auskommen. Nur auf Bioorangen musste ich leider ver zichten.« Na dann kann das alles ja nicht so schlimm sein!
    Hartz-IV-Selbstversuche, so könnte man denken, erzeugen also weniger gegenseitiges Verständnis und Solidarität, sie geben nur Zeugnis davon, wie wenig Berührungspunkte, wie wenig Empathie es zwischen den Schichten noch gibt. Und davon, wie auch eine solche gut gemeinte Aktion Vorurteile schüren kann: Denn die Deutungshoheit über Hartz IV steht auch in diesem Fall nicht denen zu, die wirklich darunter leiden. Sie fragt ja keiner. Sondern denen, die saturiert genug sind, das mal »auszuprobieren« – und sei es auch nur, um den eigenen Verdacht zu bestätigen, die Armen jammerten auf »hohem Niveau«.
    Der Mythos vom Sozialschmarotzer
    »Ehrenamtlich gegen Armut – machen Suppenküchen satt und bequem?« 29 lautete der Titel einer Anne-Will-Sendung im Mai 2010, der ebenfalls anklingen lässt, dass übrig gebliebenes Essen schon zu viel des Guten für Arme ist. (Ein anderer Titel lautete 2008: »Hungern muss hier keiner – ein Land redet sich arm«.) Der Volkszorn gilt offenbar nicht der Tatsache, dass in Deutschland, trotz aller Krisen eines der reichsten Länder der Welt, Armenspeisungen nötig sind. Der Zorn gilt den Bedürftigen selbst: »Die können ruhig was tun für ihr Geld und nicht nur rumsitzen und immer dicker werden«, sagt eine fein gemachte Bürgerin in einer Straßenumfrage der selben Sendung. »Ich leg ja auch nicht den ganzen Tag die Beine hoch und kriege Geld dafür«, findet ihr Mann im teuren Wintermantel. »Die sollte man mal bemühen, das hier wegzuschaffen«, sagt ein anderer, der versichert, er habe nicht FDP gewählt. »Die«, das sind die Hartz-IV-Empfänger. »Das hier« sind die Dreckhaufen, die der Winter auf den Straßen von Berlin zurückgelassen hat. Und der Unterschied zwischen Straßendreck und Langzeitarbeitslosen liegt für die Befragten allenfalls darin, dass der Straßendreck nicht auf die Befehle reagiert, die man ihm erteilt. Außenminister Guido Westerwelle ( FDP ) regte im kalten Februar 2010 an, Hartz-IV-Empfänger zum Schneeschippen zu verdonnern. SPD -Politikerin Hannelore Kraft wollte sie Straßen fegen lassen. Berlins Grüne Claudia Hämmerling hatte die Idee, Hartz-IV-Empfänger auf die Jagd nach Hundebesitzern zu schicken, die Hundehaufen nicht von der Straße klauben. 30 Die Forderungen, wenigstens »den Dreck« wegzumachen, ist nichts weniger als eine Disziplinierungsmaßnahme, die den Armen asoziales Verhalten unterstellt: nämlich sich in der »sozialen Hängematte« auf Kosten der Allgemeinheit gemütlich einzurichten.
    »Es gibt kein Recht auf Faulheit in dieser Gesellschaft«, ließ Exbundeskanzler Gerhard Schröder 2001 über das Zentralmedium der Hetze gegen sozial Schwache, die Bild , verbreiten. 31 Das Zerrbild des faulen Arbeitslosen diente der rot-grünen Regierung dazu, mit der Agenda 2010 die größ ten und weitreichendsten sozialen Einschnitte der Nachkrieg s geschichte der Bundesrepublik umzusetzen: »Niemandem aber wird es künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt – wir werden die Zumutungskriterien verändern –, der wird mit Sanktionen rechnen müssen.« 32 Mit diesen Worten stellte Schröder 2003 seine »Agenda 2010« vor. Damit ignorierte er nicht nur die strukturellen Ursachen von Arbeitslosigkeit und das politische Versagen, eine gerechtere Verteilung von Arbeit und Vermögen zu organisieren. Er machte auch
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