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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben
Autoren: K Hartmann
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Minijob. 3
    Die junge Hausbesitzerin reagiert trotzig: »Die sagen mir selber, dass sie lieber Hartz IV wollen und gar keinen Bock haben zu arbeiten.« Ja, was man als Schüler halt so zu seinen Lehrern sagt: Provokation, wie sie für Schüler üblich ist, zumal für solche, die vom System nichts mehr erwarten und nichts zu erwarten haben. Lehrer als Angehörige der Mittelschicht sind meistens denkbar weit entfernt vom Alltag der sogenannten Unterschicht: obwohl, vielleicht weil sie tagtäglich mit den Folgen einer diskriminierenden Sozialpolitik umgehen müssen, begegnen sie den Opfern nicht immer ohne Vorurteile. Einer Studie der Universität Oldenburg von 2009 zufolge glauben Lehrer sogar, dass sie verhaltensauffällige und leistungsschwache Kinder bereits an ihren Vornamen erkennen können: »Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose«, sagte eine Lehrerin in der Untersuchung, die Lehrer zu ihren Namensvorlieben und den zugehörigen Assoziationen befragte. 4
    Am Stammtisch der Mittelschicht
    Ein Abend im Restaurant, am Tisch eine Gruppe Journalisten und Akademiker. Die Mägen sind voll, der Rotwein fließt, man versteht sich so gut, wie man sich eben versteht, wenn man sich unter Gleichen fühlt, zumindest unter Gleichgesinnten. Einer von ihnen sagt recht unvermittelt: »Hartz-IV-Empfänger gehen doch bloß zur Tafel, damit sie sich das neueste iPhone kaufen können.« Schon klar, in solchen Runden geht es immer auch darum, sich zu profilieren. Doch als Provokation war das offenbar nicht gedacht. Jedenfalls stört sich niemand an dieser ungeheuerlichen Unterstellung, keiner widerspricht, einer nickt beiläufig. Wie kann das sein? Jeder am Tisch hat ei nen guten Job, aus dem er Befriedigung und Anerkennung zieht, manche verdienen sogar überdurchschnittlich. Alle haben studiert, sind politisch und kulturell interessiert und lesen mindestens eine überregionale Tageszeitung. Manche von ihnen waren früher vielleicht sogar mal links (und sagen heute, dass sie »realistisch« geworden sind). Man sollte annehmen, dass es einen Konsens gibt über wesentliche ethische Fragen. Hätte jemand einen ähnlich diskriminierenden Satz über eine andere Bevölkerungsgruppe gesagt – etwa: »Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg« oder »Schwarze sind doch alle Drogendealer« –, den Beteiligten wären die Garnelen im Hals stecken geblieben.
    Doch in dieser Frage erfährt der Journalist volle Zustimmung. Ein anderer bestätigt: »Ja, die haben immer die neuesten Handys. Außerdem sind die immer super angezogen, wenn sie zur Tafel gehen. Die, die das wirklich brauchen, die erreicht man doch gar nicht.« Ein weiterer ergänzt: »Und seit die die Heizkosten bezahlt kriegen, heizen die wie verrückt, hab ich gehört.« Vermutlich von Thilo Sarrazin: »Hartz-IV-Empfänger sind erstens mehr zu Hause, zweitens haben sie es gerne warm, und drittens regulieren viele die Temperatur mit dem Fenster.« 5 Man fragt sich, wer allen Ernstes seine Wohnung überheizen würde, bloß um es dem Staat reinzudrücken. Dabei wohnen Hartz-IV-Empfänger und andere Bedürftige überdurchschnittlich oft in schlecht isolierten Sozialwohnungen. In welcher Höhe aber die Heizkosten erstattet werden, obliegt den Kommunen: Wie beim Wohnraum legen diese fest, was »angemessen« ist. Was darüber hinausgeht, müssen die Bedürftigen selbst zahlen. Das heißt: frieren oder umziehen. Strom, Gas und Warmwasser sind im Regelsatz enthalten. Übersteigt der Verbrauch den vorgesehenen Betrag – etwa, wenn die Energiekosten steigen, 6 müssen Hartz-IV-Empfänger die Kosten ebenfalls aus eigener Tasche bezahlen. Heißt: Licht aus, Herd aus, kalt duschen und Schulden. Und für manche sogar hungern, um die Stromrechnung bezahlen zu können. 7 Während die Ökoelite ihre Solarzellen auf dem Eigenheim subventioniert bekommt, um damit Heizung und Strom zu sparen, ja, auch noch Geld zu verdienen, wenn sie Strom ins Netz einspeisen, leiden Bedürftige in Deutschland unter Energiearmut. Man kann das wissen. Wenn man es wissen will. Aha, frage ich schließlich, und woher habt ihr diese Informationen? Kennt ihr solche Leute? »Ja, natürlich«, sagen sie zwei prompt, »wir leben ja in Berlin.«
    Merkwürdig. Ich musste jedenfalls richtig suchen, um mit Menschen, die der sogenannten »Unterschicht« angehören, ins Gespräch zu kommen. Gefunden habe ich sie in der Parallelwelt der Tafeln und Sozialkaufhäuser an den Rändern der Städte. Man kennt sich nicht mehr
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