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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen
Autoren: Mark Helprin
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unerlässliche Komponente in jener ausbalancierten Gleichung sind, die den ehernen Gang der Zeiten regelt. Sie sind die Würze und das Ferment einer Metropole, ein rotes Aufblitzen im Mosaik des nächtlich hell erleuchteten Häusermeeres.
    All dies galt auch für Pearly Soames. Stets war er sich seiner selbst und der Schlechtigkeit seines Handelns bewusst. Er verfügte über eine geradezu selbstquälerische Gabe, sich im Handumdrehen mit wachem Verstand die Bedeutung seiner gnadenlosen Gewalttaten vor Augen zu führen. Zwar kümmerte er sich nicht im Geringsten um jene komplizierten Mechanismen, die in der Welt für Ausgleich sorgen, aber das Leben in der Stadt wäre gewiss nicht mehr dasselbe gewesen, hätte es ihn nicht gegeben. Denn dieses Leben bedurfte genau dessen, was Pearly in seiner Person vereinigte: der Kräfte des Ausgleichs, der Verneinung und des Zufalls. Stellt euch nur vor, welch rätselhafte Verkehrung aller Werte vorliegen muss, damit ein Mann beim Anblick eines Säuglings zusammenzuckt und den Impuls verspürt, das kleine Menschenwesen zu töten! Pearly war aus solchem Holz geschnitzt; er hasste Babys und hätte sie am liebsten allesamt umgebracht. Ihr Geplärr klang in seinen Ohren wie das Geschrei rolliger Katzen. Er verabscheute ihre weit aufgerissenen Münder. Nicht einmal ihren eigenen Kopf vermochten sie hochzuhalten! Ihre Bedürfnisse, ihre Unbeherrschtheit und ihre Unschuld trieben ihn zum Wahnsinn, er hätte sie gern mundtot gemacht, noch bevor sie sprechen lernten. Kleine Kinder, die zu jung zum Stehlen waren, erfüllten ihn ebenfalls mit Ekel. Welch tragischer Irrtum der Natur! Wenn Menschen klein genug waren, um sich zwischen Gitterstäben hindurchzuzwängen, wussten sie nichts mit sich anzufangen und hatten auch noch nicht die Körperkraft, um eine gewichtige Beute davonzutragen. Doch sobald sie alt genug waren, um zu begreifen, was es auf der anderen Seite der Gitterstäbe zu holen gab, passten sie nicht mehr hindurch. Übrigens hasste Pearly nicht nur Kinder wegen ihrer Verletzlichkeit, sondern er fühlte auch Wellen wilder Gewalttätigkeit in sich aufsteigen, wenn er einen Krüppel vor sich sah. Zähneknirschend hätte er solche Kreaturen am liebsten an Ort und Stelle umgebracht, zu Brei geschlagen, ihr grässliches Selbstmitleid für immer zum Schweigen gebracht und ihre Rollstühle zertrümmert. Pearly war ein Bombenleger, ein Irrer, ein Erzbösewicht, ein Satan, ein reißender Straßenköter.
    *
    Pearly Soames wollte Gold und Silber, aber nicht um des Reichtums willen wie gewöhnliche Diebe. Er begehrte diese edlen Metalle wegen ihres Glanzes und ihrer Reinheit. Sein seltsames, abwegiges und verbildetes Wesen suchte in der abstrakten Beziehung zwischen den Farben nach Linderung und Heilung. Doch mochte er sich noch so sehr zu fein abgestuften und intensiven Farben hingezogen fühlen, so war er dennoch kein Connaisseur der Malerei geworden. Solche Menschen standen den Farben bemerkenswert gleichgültig gegenüber. Selten nur waren sie von ihnen besessen, und rasch sahen sie sich satt. Sie hatten etwas von Feinschmeckern, die ihre Speisen zu kunstvollen Gebilden auftürmen, bevor sie sie verzehren. Sie verwechselten Schönheit mit Wissen und Leidenschaft mit Sachverstand.
    Nicht so Pearly. Seine Hinneigung zur Farbe war wie eine ansteckende Krankheit oder eine Religion. Er war ihr verfallen und darbte nach ihr wie ein Verhungernder. Bisweilen, wenn er durch die Straßen der Stadt ging oder in einem schnellen Segler auf dem Fluss kreuzte, erlebte er, wie die Sonne für kurze Zeit die spiegelnde Fassade eines Hochhauses in einen goldenen Glanz von geradezu verbotener Schönheit tauchte. Dann blieb Pearly jedes Mal wie angewurzelt mitten auf der Straße stehen, sodass der Verkehr ihm ausweichen musste. Falls er gerade in einem Boot saß, legte er es augenblicklich in den Wind und betrachtete das farbenfrohe Schauspiel bis zum Ende. Maler und Anstreicher durchlitten immer wieder Todesängste, wenn sie plötzlich Pearly Soames neben sich sahen, die elektrisierenden Augen unverwandt auf die glänzende, mit lüsterner Langsamkeit aus den dicken Quasten triefende Farbe gerichtet. Es war schon schlimm genug, wenn Pearly allein auftauchte – er war bekannt wie ein bunter Hund, und ein unzweideutiger Ruf ging ihm voraus –, aber meist wurde er von einer Rotte Banditen eskortiert. Dann zitterten die armen Anstreicher vor Furcht, denn unfehlbar wurden sie später von den Short Tails dafür
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