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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen
Autoren: Mark Helprin
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und Experten wild auf solche Bilder? Sie müssten es doch besser wissen mit all ihrem Sachverstand und Reichtum!«
    »Ich werd’ auch nicht schlau draus, Pearly«, pflichtete ihm Blacky Womble bei.
    »Halt die Klappe und schaff das Zeug zurück!«, fuhr Pearly ihn an. »Ich will es nicht haben. Tut die Bilder wieder in ihre Rahmen!«
    »Aber wir haben sie doch rausgeschnitten!«, protestierten die Einbrecher. »Außerdem wird es in einer Stunde hell. Es ist zu spät.«
    »Dann bringt sie eben morgen zurück, verdammt noch mal! Was für ein Reinfall!«
    Am nächsten Tag gab es einen fürchterlichen Aufruhr, als bei Knoedler’s das Verschwinden von Gemälden im Wert von einer halben Million Dollar entdeckt wurde. Aber schon am Morgen des übernächsten Tages verkündeten riesige Schlagzeilen in den Zeitungen, dass die Bilder zurückerstattet worden seien. Darunter war der Text einer Mitteilung abgedruckt, die von unbekannter Hand mit einer Reißzwecke am Rahmen eines der Gemälde befestigt worden war:
    Diese will ich nicht haben. Sie sind Schund und haben keine Farbe. Jedenfalls ist es nicht das, woran ich gewöhnt bin.
    Schaut Euch irgendeine amerikanische Stadt im Herbst oder im Winter an, wenn die Farben im Licht zu fließen und zu tanzen scheinen. Stellt Euch auf einen Hügel oder fahrt in einem Boot in die Bucht oder auf den Fluss hinaus, dann seht Ihr von weitem, dass es überall bessere Gemälde gibt als das Zeug von der Farbe einer Linsensuppe, das Ihr erst mit Expertisen aufwerten müsst, um es überhaupt lieben zu können. Ich mag ein Dieb sein, aber ich kann Farben von Schmutz unterscheiden, ob sie nun über den Himmel zucken oder ob der Teufel mit ihnen sein Spielchen treibt. Mr Knoedler, Sie brauchen sich um Ihre Bilder keine Sorgen mehr zu machen. Ich werde Ihnen keine mehr stehlen, denn sie gefallen mir nicht.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ihr P. Soames
    Um den verletzten Farbsinn ihres Anführers zu besänftigen, zogen Pearlys Männer los und stahlen für ihn Smaragde, Gold und Silber. Tagelang sagte er kein einziges Wort, doch bald heilten die Wärme des Goldes und der kühlere Glanz des Silbers seine Wunde.
    Die Banditen kehrten manchmal mit dem einen oder anderen Werk eines amerikanischen Künstlers, mit der Miniatur eines Meisters der Renaissance, mit farbenfrohen Bildern allzu gering geachteter naiver Maler, aber auch mit alten Meistern zurück, deren Gemälde zum Glück nicht von einer bräunlichen Schicht verharzten Leinöls verunstaltet waren. Pearly weidete sich an der Farbenpracht, wo immer er sich gerade befand – unter einem Bootssteg im Hafen, im Hinterzimmer einer Bierkneipe oder zwischen alten Fässern in einer aufgelassenen Brauerei. Die wundervollen Formen und Szenen, die Feinheiten wahrhaft künstlerischer Farbgebung, die Ehrfurcht gebietende Meisterschaft räumlicher Gliederung reichten Pearly jedoch bald nicht mehr. Er wollte selbst in dieser Pracht leben, die seine Augen betörte; es verlangte ihn danach, seine Tage im Widerschein blanken Goldes zu verbringen.
    »Ich will einen Raum aus Gold!«, sagte er. »Massives Gold, das ständig mit Chamois-Leder poliert wird. Wände, Fußboden und Zimmerdecke – alles soll aus reinstem Gold sein!«
    Sogar die Short Tails waren perplex. Die Stadt gehörte ihnen, gewiss, doch nie war es ihnen in den Sinn gekommen, sich wie Untertanen eines Inka-Königs zu gebärden und ihm einen himmlischen Palast zu errichten, geschweige denn an einen festen Wohnsitz zu denken.
    Blacky Womble wagte es, seinem Boss zu widersprechen:
    »Pearly, niemand in New York hat ein goldenes Zimmer, nicht einmal der reichste Bankier. Außerdem wäre das Zeitverschwendung, denn um so viel Gold zu stehlen, würden wir mindestens hundert Jahre brauchen.«
    »Da täuschst du dich«, erwiderte Pearly. »Wir werden es an einem einzigen Tag schaffen!«
    »An einem Tag?«
    »Ja, es ist ein Kinderspiel. Und wenn du glaubst, es gäbe keinen Raum aus Gold, dann irrst du dich. Allein in dieser Stadt gibt es mehr davon als Sterne am Himmel.«
    »Wie kann das sein?«
    »Hast du jemals von der Sarganda-Street, der Diamond Row oder den Avenuen der Neuner und Zwanziger gehört?«
    »Sollen die hier in New York sein?«
    »O ja! Es sind endlos lange Straßen, die sich über Hunderte und Tausende von Meilen durch die Stadt schlängeln. Eine Unzahl von Seitenstraßen geht von ihnen aus, eine prächtiger als die andere.«
    »Meinst du vielleicht Brooklyn? Dort kenne ich mich nicht aus. Aber
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