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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen
Autoren: Mark Helprin
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Eisflächen unkenntlich machten. Peter dachte an Anarinda, die Dunkelhaarige, Pfirsichbrüstige, Sternenäugige – und er machte sich sofort auf den Weg nach Norden.
    »Verdammt!«, fluchte er, als er an den Docks über die leichte Anhöhe ritt und den Fluss vor sich liegen sah. Die Fähre brannte lichterloh, mitten in dem mit Eisschollen übersäten Fahrwasser! Das Schiff lag fest, weitab vom Ufer. Orangefarbener Feuerschein und pechschwarzer, wallender Rauch hüllten es ein. Immer mussten diese Fähren abbrennen! Ihre Kessel explodierten mit Vorliebe im Winter, wenn sich die Schiffe gegen kleine Inseln aus scharfkantigem Eis stromaufwärts kämpfen mussten. Die wunderbaren neuen Brücken über den Strom waren die einzige Abhilfe, aber wer konnte schon an dieser Stelle eine Brücke über den Hudson bauen?
    Der Himmel erstrahlte an diesem Tag in makellosem Blau. Am jenseitigen Ufer waren in der steilen braunen Felswand rötliche und purpurne Gesteinsadern fast überdeutlich zu erkennen, ja sogar einzelne weiße Häuschen und Bäume. Ein steifer, kalter Wind blies die Eisschollen stromabwärts vor sich her. Sie rieben sich schurrend aneinander, manchmal prallten sie auch mit dem Glockenton berstenden Glases zusammen. Und mitten in diesem weißen Wirrwarr mühten sich schwarzbemäntelte Feuerwehrmänner, Überlebende zu bergen und von Dampfschleppern und Walfangbooten aus eiskaltes Flusswasser in die Flammen zu spritzen.
    Schon hatten sich, trotz des bitteren Frostes, Hunderte von Schaulustigen versammelt: kleine Mädchen mit Schlittschuhen an den Füßen, Handwerker auf dem Weg zur Arbeit, Dienstleute, Dockarbeiter, Fischer und Eisenbahner. Fliegende Händler stellten eilig ihre Buden auf und freuten sich auf die Tausenden von Neugierigen, die herbeieilen würden, um einen Blick auf die im Fluss treibende, inzwischen zu einem schwärzlichen Metallklumpen ausgebrannte Fähre zu werfen und sich an heißen Esskastanien, Puffmais, warmen Brezeln und Fleischspießchen zu laben.
    Peter stieg ab. Er erstand von einem verschlagen blickenden Mann, dessen Hände gänzlich gegen Feuer abgehärtet schienen – fast griff er mit den bloßen Fingern in die rötliche Kohlenglut hinein – eine Tüte gerösteter Esskastanien. Da sie noch zu heiß waren, blickte er sich schnell um, um sich zu vergewissern, dass er von keinem weiblichen Wesen beobachtet wurde, öffnete mit einer flinken Bewegung seine Hose und schob die Tüte mit den Kastanien hinein. Wohlige Wärme verbreitete sich vom Bauch aus über seinen ganzen Körper. Unverwandt blickte er zu dem brennenden Fährschiff hinüber. Der Wind hatte noch mehr aufgefrischt. Er zwang die Trauerweiden am Ufer, sich nach Süden zu neigen, und fegte ihnen den pulverigen Schnee aus dem Geäst.
    Einer der Schaulustigen starrte nicht auf das brennende Schiff, sondern schien sich nur für Peter Lake zu interessieren. Doch der tat diesen Affront mit einem Achselzucken ab. Was machte es ihm schon aus, von einem Mann begafft zu werden, der die Uniform eines Telegrammboten trug? Für solche Leute hatte Peter nichts übrig. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht im Entferntesten an den gertenschlanken, geflügelten Gott Hermes erinnerten, sondern ausnahmslos rundliche, schwerfällige und dickblütige Scheusale waren, die zu Fuß höchstens eine Meile in der Stunde zurücklegten und keine Puste zum Treppensteigen hatten. Dieser Kerl trug eine zerknautschte Schirmmütze mit einem kleinen Messingschild, auf dem zu lesen stand: Beals, Telegrammbote . Es entging Peter nicht, dass sich dieser Beals nach einem Weilchen unauffällig in der Menschenmenge verdrückte. Was machte es schon, wenn er ihn, Peter, bei den Short Tails verpfiff? Sobald die Bande aufkreuzte, brauchte Peter nur auf seinen Hengst zu springen und das Weite zu suchen.
    Unten auf dem Fluss bemühten sich mehrere Feuerwehrmänner, an Bord des brennenden Fährschiffes zu kommen. Eigentlich gab es dazu keinerlei Anlass, denn alle Passagiere waren entweder tot oder gerettet, und die Feuerwehr konnte nicht darauf hoffen, das Feuer doch noch unter Kontrolle zu bringen. Mehrere der tapferen Männer stürzten in den Fluss, als eine Strickleiter durchbrannte, mittels derer sie die steile Bordwand zu bezwingen versuchten. Ein erschrockenes Raunen ging durch die am Ufer versammelten Gaffer. Peter verstand, was dort vorging. Jene Männer wurden umso stärker, je näher sie an das Feuer herankamen. Gewiss, es kam vor, dass der eine oder andere von
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