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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
Autoren: Jennifer McMahon
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Martins durchnässte, schlammige Hose und die frischen Blutflecken auf seiner Jacke betrachtete.
    »Der Fuchs war wieder da. Eine Fähe. Sie hat drei Hühner geholt. Ich bin ihr nachgegangen und habe sie erschossen.« Er sagte dies mit hoch erhobenem Haupt. Siehst du, wozu ich imstande bin? Ich kann beschützen, was uns gehört. Ich habe das Herz eines Helden.
    »Ich habe ihr das Fell abgezogen«, fuhr er fort. »Ich dachte, vielleicht möchtest du Gertie eine Mütze daraus machen.«
    Sara lehnte sich ihm entgegen, auf den Ballen ihrer Füße, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zoll von seinem entfernt war. »Gertie war nicht bei dir?«
    »Natürlich nicht. Sie lag noch im Bett, als ich aufgebrochen bin.«
    Martin wünschte sich nichts sehnlicher, als ins Haus zu gehen, sich trockene Kleider anzuziehen, sein Frühstück zu essen und eine Tasse heißen Kaffee zu trinken. Er hatte jetzt keine Zeit für Sara, die in jeder Sekunde wissen musste, wo Gertie sich aufhielt, und die sich ängstigte, sobald das Mädchen für länger als fünf Minuten aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
    »Sie ist dir hinterhergelaufen, Martin! Sie hat dich draußen auf dem Acker gesehen und sich den Mantel angezogen, um dir nachzugehen. Sie wollte dir beim Einsammeln der Eier helfen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht gesehen.«
    »Martin, das war vor mehreren Stunden.« Saras goldgesprenkelte Augen suchten den leeren Acker ab. Es hatte die ganze Zeit ohne Unterlass geschneit, und der Wind hatte den Schnee verweht. Alle Spuren vom Morgen waren ausgelöscht. Martins Blick glitt hilflos über den Hof. Angst stieg in ihm auf.
    Es war unmöglich zu sagen, wohin die Kleine gelaufen war.

Martin
12. Januar 1908
    Stundenlang durchkämmten sie Äcker und Wälder. Es schneite nun nicht mehr so heftig, dafür war es bitterkalt, und der scharfe Wind türmte den Schnee zu hohen Verwehungen auf, so dass Hof und Felder aussahen wie ein Meer puderweißer Wellen.
    Wie lange konnte ein Kind bei solcher Witterung überleben? Martin versuchte sich diesen Gedanken zu verbieten. Er stapfte einfach weiter, Gerties Namen rufend. Er hatte den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen, nicht einmal ein Glas Wasser getrunken. In seinem Bauch wütete die Verzweiflung. Der Kopf tat ihm weh, und seine wachsende Angst machte es ihm immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Am wichtigsten, so viel wusste er immerhin, war, dass er um Saras willen gefasst blieb. Er musste sie davon überzeugen, dass alles gut werden würde.
    Sara war in der Nähe des Hauses geblieben, für den Fall, dass Gertie zurückkam. Trotzdem konnte Martin sie noch hören. Selbst von jenseits des Felskamms vernahm er, wie sie immer wieder mit verzweifelter Stimme »Gertie, wo bist du?« rief, ein sonderbarer Singsang über dem Heulen des Windes. Seine Ohren spielten ihm Streiche. Erst hörte er »Froh bist du«, dann »Tot bist du«.
    Martins Schädel pochte. Sein verkrüppelter Fuß schmerzte nach den vielen Meilen, die er in den unförmigen Schneeschuhen zurückgelegt hatte. Anheben, gleiten, anheben, gleiten. Nirgendwo eine Spur von ihrem kleinen Mädchen.
    Er geriet ins Straucheln, rappelte sich wieder auf.
    Froh bist du.
    Tot bist du.
    Er dachte an die Fähe mit dem Huhn im Maul.
    Tot bist du.
    Dann an seine kleine Tochter, wie sie seiner Spur den Hügel hinauf gefolgt war.
    Gertie, tot bist du.
    Er presste sich die Fäustlinge auf die Ohren und brach im Schnee zusammen. Er schrie und heulte vor Angst und Wut. Es war seine Pflicht, die Familie zu beschützen, die Dinge zu richten, wenn es Probleme gab. Und hier lag er nun, bis auf die Haut durchnässt und halb erfroren, ein Mann, der so aussah, als müsse er selbst gerettet werden.
    »Gertie!«, schrie er.
    Nur der Wind antwortete ihm.
    Irgendwann, die Sonne sank bereits tiefer, machte er kehrt und ging hügelabwärts zurück zum Haus. Er war am Ende seiner Kräfte und konnte seinen linken Fuß kaum noch belasten. Er würde ihn an diesem Tag nicht mehr weit tragen.
    Als er in seinen Schneeschuhen über den Acker kam, erblickte er Sara, die gerade aus der Scheune trat.
    Sie hatte sich ein dünnes Tuch umgelegt und zitterte vor Kälte. Wie von Sinnen begann sie auf dem Hof im Kreis herumzulaufen. Inzwischen war ihre Stimme nur noch ein heiseres Krächzen. »Gertie! Gertie! Gertie!« Sie trug keine Handschuhe, ihre Finger waren blaugefroren, die Fingerspitzen blutig – wenn sie nervös war, kratzte sie sich dort die Haut auf.
    Er
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