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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
Autoren: Jennifer McMahon
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einmal mehr sicher, ob er sich noch auf dem Pfad befand. Die Buchen und Ahornbäume, allesamt kahl und schneebedeckt, kamen ihm unbekannt vor. Eine Stunde oder länger kämpfte er sich durchs dichte Unterholz, während die Himbeerranken vom letzten Jahr an ihm zerrten und er sich immer weiter von Heim und Hof entfernte. Der Wald wurde dunkler. Martin begann sich zu fragen, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, sich während eines Schneesturms so weit hinauszuwagen.
    »Zu spät zum Umkehren«, sagte er sich.
    Er erlaubte sich fast nie, an den Unfall zu denken. Wenn es doch geschah, dann in Momenten wie diesem; wenn ihm alles besonders hoffnungslos erschien, so als wäre die Welt, in der er lebte, auf eine fundamentale Weise sein Feind.
    Er war oben auf dem Hügel gewesen und hatte Feuerholz geschnitten. Es war ein milder Sommermorgen ein Jahr nach seiner Hochzeit mit Sara. Er hatte eine Lichtung voll mit bereits trockenem Windbruch entdeckt, und nun schnitt er das Holz zu ofengroßen Scheiten zurecht und lud es auf den Karren. Er arbeitete den ganzen Tag, ging zum Mittagessen nach Hause und machte sich danach, zufrieden mit dem, was er bislang geschafft hatte, wieder auf den Weg in den Wald. Er bat Sara, das Abendessen warm zu halten. Er werde arbeiten, bis der Karren voll sei oder es zu dunkel würde. Sie runzelte die Stirn. Es missfiel ihr, wenn er sich nach Einbruch der Dämmerung im Wald aufhielt.
    »Komm nicht zu spät«, ermahnte sie ihn.
    Doch die Arbeit ging ihm so gut von der Hand, der Karren war fast voll, die Abenddämmerung brach herein, und Martin sägte immer noch weiter. Schultern und Rücken schmerzten, doch es war ein guter Schmerz. Endlich passte kein Holz mehr auf den Karren. Er sammelte Säge und Axt ein, spannte das Pferd an und machte sich langsam und vorsichtig an den Abstieg. Es war nun schon fast dunkel, und er ging dicht neben der Stute, damit er sie an Felsen vorbei, über Wurzeln und Erdlöcher hinweg führen konnte. Sie hatten gerade die Teufelshand passiert, als die Stute plötzlich stehen blieb und nicht mehr weiterwollte.
    »Komm schon, Mädchen«, ermunterte Martin sie und zog an den Zügeln, ehe er ihr einen sanften Klaps gab. Sie rührte sich nicht von der Stelle, sondern blickte mit aufgestellten Ohren geradeaus. Dann machte sie ängstlich wiehernd einen Schritt rückwärts. Irgendwo weiter vorn hörte Martin einen Zweig knacken. Er tätschelte der Stute die Mähne.
    »Ruhig, Mädchen«, sagte er, bevor er nach vorn in die Dunkelheit ging, um nachzusehen.
    Er konnte nicht sagen, was dort an jenem Abend im Wald gewesen war. Als Lucius ihn hinterher danach fragte, behauptete Martin, nichts gesehen zu haben; die Stute müsse allein wegen eines Geräuschs durchgegangen sein.
    »Ich kenne kein Pferd, das so ruhig ist wie eure alte Mähre«, hatte Lucius dagegengehalten. »Es muss ein Bär gewesen sein. Oder ein Puma. Irgendetwas muss ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.«
    Martin nickte. Er verriet seinem Bruder nicht, ja nicht einmal Sara, was er tatsächlich gesehen hatte: etwas Weißes, wie eine Eule, nur viel, viel größer. Es hatte auf einem niedrigen Ast gehockt, war von dort hinunter auf den Waldboden geflogen und hatte dabei einen seltsamen, zischenden Laut ausgestoßen. Es hatte … beinahe menschlich ausgesehen. Nur dass kein Mensch imstande war, sich so zu bewegen.
    Das war zu viel für die Stute, die augenblicklich scheute und losgaloppierte, genau auf Martin zu. Er sah sie kommen, wusste, was er tun musste, doch vor Angst war sein Kopf wie betäubt, und er konnte seinen Körper nicht dazu zwingen, ihm zu gehorchen. Sein Blick war auf die Augen der verängstigten Stute geheftet, die fast aus ihren Höhlen traten, während sie auf ihn zupreschte. Endlich machte er einen Sprung zur Seite, doch nicht mehr rechtzeitig und nicht weit genug. Das Pferd warf ihn um, trampelte über seine Beine hinweg, und sein linker Oberschenkelknochen brach mit einem hörbaren Knacken. Im Fallen prallte er mit der Schläfe gegen die Ecke eines großen Steins, und die Welt um ihn herum wurde noch dunkler und verschwommener. Der Karren rollte über seinen linken Fuß und zerquetschte ihn vom Knöchel abwärts. Martin spürte förmlich, wie die Knochen unter dem Rad zermalmt wurden. Die Schmerzen waren unerträglich, doch zugleich auch weit weg – fast, als wäre gar nicht er derjenige, der sie empfand, sondern jemand ganz anderer. Hinter ihm brach ein Zweig. Er drehte sich um und
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