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0047 - Der Alptraum-Garten

0047 - Der Alptraum-Garten

Titel: 0047 - Der Alptraum-Garten
Autoren: Jason Dark
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Der Wind wehte von den Britischen Inseln her, wuchs über dem Kanal zum Orkan auf und fiel auf die französische Küste nieder wie ein hungriges Raubtier.
    Noch brachte er keinen Regen oder Schnee mit, sondern pfiff und heulte um Felsen und Riffe, ließ die See kochen und schleuderte gewaltige Wassermassen gegen die Kalksteinfelsen der bretonischen Küste.
    Im Innern des Landes flaute der Sturm ein wenig ab, er hatte aber dennoch Kraft genug, um das Wasser des kleinen Sees zu gischtenden Wellen hoch zupeitschen, um sie dann an den Ufern als lange Zungen in das Land hineinlecken zu lassen.
    Der Winter neigte sich seinem Ende zu, und es schien so, als würde er noch einmal Atem holen, um sich gegen die wärmere Jahreszeit zu stemmen. Deshalb spielte das Wetter verrückt. Warme und kalte Luftmassen prallten aufeinander, es gab Temperaturstürze und Gewitter, und die Menschen, deren Kreislauf nicht mehr der beste war, hatten unter dem Sturm zu leiden.
    Das Wetter machte Lydia La Grange jedoch nichts aus. Obwohl sie schon über fünfzig Lenze zählte, war sie kerngesund. Sie hatte nie in ihrem Leben einen Arzt aufgesucht und ihn auch nicht gebraucht.
    Ihr gehörte die Insel.
    Sie lag inmitten des sturmgepeitschten Sees, war dicht bewachsen und stemmte sich wie eine Trutzburg gegen den Orkan.
    Die Insel hatte Lydia La Grange geerbt. Seit vielen Jahrhunderten befand sie sich im Besitz ihrer Familie. Lydia war die letzte aus der Ahnenreihe der La Granges und hatte keine Nachkommen.
    Auch an diesem späten Nachmittag verließ sie ihr hochherrschaftliches Haus, band sich das Kopftuch um und stemmte sich gegen den Sturm. Jean, der Diener, war im Haus geblieben, er hatte ihr nur mit der Laterne geleuchtet.
    Der Wind ließ ihren Mantel knattern. Er rüttelte an den Zweigen und Ästen der kahlen Bäume, bog die sorgfältig geschnittenen Hecken des Parks dem Boden zu und bewegte das Gras wie ein riesiges grünes Wellenmeer.
    Lydia La Grange spazierte wie immer auf demselben Weg. Und sie passierte dabei die Stellen im Park, die zahlreiche Rätsel bargen und schon manche Menschen dazu verleitet hatten, sich mit Lydia La Grange zu beschäftigen.
    Doch überlebt hatte es niemand.
    ***
    »Ich weiß nicht so recht. Das alles paßt mir nicht in den Kram.« Tom Jeffers spielte unschlüssig mit seinem Calvadosglas und ließ es über den blank polierten Tisch bis nach vorn zur Kante rutschen.
    »Sag bloß, du kneifst?« Sein Gegenüber schaute ihn erstaunt an.
    »Sieh doch mal nach draußen, Pierre. Willst du bei diesem Wetter auf den See fahren?«
    »Ich denke, du bist ein Reporter?«
    »Richtig, Pierre, aber kein Lebensmüder.«
    Pierre Balmain schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dann fahre ich eben ohne dich.«
    »Das ist noch größerer Wahnsinn.«
    »Aber es ist meine Sache. Wie lange haben wir uns schon vorgenommen, daß wir der Insel einen Besuch abstatten. Denkst du, ich möchte mich in der Redaktion auslachen lassen? Pierre Balmain, der rasende Reporter, der Mann, den nichts erschüttern kann, hat Angst vor einem kleinen Lüftchen.«
    »Morgen ist der Sturm vorüber«, warf Tom Jeffers, der Engländer, ein.
    »Morgen ist auch Redaktionsschluß. Nein, wir fahren hin, und dann telefoniere ich in der Nacht noch meinen Bericht durch.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß gar nicht, was in dich gefahren ist, mein Junge. Hast du Angst?«
    »Ja, ich habe Angst«, erwiderte Tom Jeffers leise.
    »Das darf doch nicht wahr sein.« Pierre Balmain, der Mann mit dem buschigen Oberlippenbart und dem Bürstenhaarschnitt beugte sich vor und schüttelte den Kopf. »Angst hast du doch noch nie gehabt, Tom. Und was haben wir für Dinger gedreht. Denk mal an unsere Reise nach Mekka. Und dann der Trip nach Indien. Alles heiße Sachen, aber jetzt machst du dir in die Hose, weil mal ‘ne stärkere Brise weht.«
    »Das stimmt nicht.«
    Pierre lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Was ist es dann?«
    Jeffers hob die Schultern. Er hatte ein schmales Gesicht mit einem ausgeprägten Kinn und trug das schwarze Haar zu einer Bürste geschnitten. Seine Augen blickten immer ein wenig melancholisch, und wer den traurigen Zug um seine Mundwinkel sah, konnte ihn für einen ewigen Pessimisten oder Nörgler halten. Dabei hatte sich Tom Jeffers, der Reporter, mit Leib und Seele seinem Beruf verschrieben. Im Moment schrieben er und sein französischer Kollege Pierre Balmain eine Artikelserie über Leute, die sich die eigenwilligsten Hobbys leisteten. Die Britischen
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