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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Autoren: Ken Follett
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ein, die in Kürze ihre Türen öffnen sollte.
    Lloyd machte sich schreckliche Sorgen, dass die Krise zum Krieg führen könnte. Er hatte in zwei Kriegen gekämpft und wollte keinen dritten erleben. Er hatte zwei kleine Kinder und hoffte, dass sie in einer friedlichen Welt würden aufwachsen können. Und er war mit der schönsten, reizvollsten, liebenswertesten Frau der Welt verheiratet und wollte lange Jahrzehnte mit ihr verbringen.
    General Clay, der arbeitswütige amerikanische Militärgouverneur, befahl seinem Stab, einen Plan für einen Panzerzug auszuarbeiten, der von Helmstedt in Westdeutschland durch die sowjetische Besatzungszone direkt nach Berlin walzen und dabei alle Hindernisse aus dem Weg räumen könnte.
    Lloyd erfuhr gleichzeitig mit Sir Brian Robertson davon, dem britischen Militärgouverneur. Sir Brian sagte im abgehackten Ton des Soldaten: »Wenn Clay das macht, haben wir Krieg.«
    Doch die Amerikaner brachten andere Vorschläge ein, erfuhr Lloyd, als er mit Clays jüngeren Stabsoffizieren sprach. Der Heeresminister, Kenneth Royall, wollte die Währungsreform verschieben. Clay erwiderte, sie sei schon zu weit vorangeschritten; man könne nicht mehr zurück. Als Nächstes schlug Royall vor, alleAmerikaner auszufliegen. Clay antwortete, dass die Russen genau das bezweckten.
    Sir Brian wollte die Stadt aus der Luft versorgen, was man bislang für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten hatte. Jemand hatte ausgerechnet, dass Berlin pro Tag viertausend Tonnen Brennstoffe und Lebensmittel benötigte. Gab es auf der Welt überhaupt genügend Flugzeuge, um so viel Fracht zu befördern? Niemand wusste es. Dennoch befahl Sir Brian der Royal Air Force, mit Versorgungsflügen zu beginnen.
    Am Freitagnachmittag suchte er sein amerikanisches Gegenstück Clay auf, und Lloyd wurde gebeten, sich seinem Gefolge anzuschließen. Sir Brian sagte zum General: »Die Russen könnten die Gleise vor Ihrem Zug blockieren und abwarten, ob Sie es wagen, den ersten Schuss abzugeben. Ich glaube aber nicht, dass sie Flugzeuge vom Himmel holen werden.«
    »Ich sehe nur nicht, wie wir genügend Versorgungsgüter durch die Luft herbeischaffen sollen«, wiederholte Clay seinen Standpunkt.
    »Ich auch nicht«, entgegnete Sir Brian. »Aber wir sollten damit anfangen, bis uns etwas Besseres einfällt.«
    Clay zog sich das Telefon heran und hob den Hörer ab. »Geben Sie mir General LeMay in Wiesbaden.« Er wartete kurz; dann sagte er: »Curtis, haben Sie Flugzeuge zur Verfügung, die Kohle transportieren können?«
    Er wartete erneut.
    »Kohle«, sagte Clay lauter.
    Wieder musste er warten.
    »Ja, genau das habe ich gesagt – Kohle!«
    Schließlich hob Clay den Kopf und blickte Sir Brian an. »Er sagt, die US Air Force kann alles liefern.«
    Die Briten kehrten in ihre Kommandantur zurück.
    Am Samstag ließ Lloyd sich mit einem Wagen der Army in einer persönlichen Angelegenheit in die sowjetische Besatzungszone fahren. Sein Ziel war die Adresse, wo er die von Ulrichs vor fünfzehn Jahren besucht hatte.
    Er wusste, dass Maud noch immer dort wohnte. Nach Kriegsende hatten seine Mutter und Maud die Korrespondenz wieder aufgenommen. In ihren Briefen schilderte Maud die schrecklichenEntbehrungen, die sie auf sich nehmen mussten. Doch sie bat nicht um Hilfe. Ethel konnte ohnehin nichts für sie tun; noch immer wurde in Berlin alles rationiert.
    Das Haus hatte sich völlig verändert. 1933 war es ein hübsches Stadthaus gewesen, ein wenig heruntergekommen, aber noch immer voller Anmut. Jetzt sah es aus wie eine Ruine. Die meisten Fenster waren mit Brettern vernagelt oder mit Papier zugeklebt. Im Mauerwerk klafften Einschlusslöcher, und die Gartenmauer lag in Trümmern. Die Holzbalken hatten viele Jahre keine frische Farbe mehr gesehen.
    Lloyd blieb einen Augenblick im Wagen sitzen und betrachtete das Haus. Zum letzten Mal hatte er es als Achtzehnjähriger gesehen; Hitler war gerade zum Reichskanzler ernannt worden. Damals hätte er sich nicht träumen lassen, welche Schrecken er zu Gesicht bekommen sollte. Und weder er noch sonst jemand hatte geahnt, wie haarscharf Europa dem Triumph des Faschismus entkommen würde und wie viel jeder opfern müsste, um diese Geißel zu besiegen. Ein wenig fühlte Lloyd sich so, wie das Haus der von Ulrichs aussah – angeschlagen, zernarbt, von Bombensplittern und Kugeln getroffen, aber unerschütterlich.
    Er ging den Gartenweg entlang zur Tür und klopfte.
    Das Hausmädchen, das die Tür öffnete, erkannte er
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