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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Autoren: Ken Follett
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während er in die Heimat gefahren ist, nach Deutschland, und Soldat wurde.« Maud, Carlas Mutter, war geborene Engländerin, auch wenn man ihr das inzwischen kaum noch anhörte. »Wir glaubten damals, der Krieg würde nur ein paar Monate dauern, aber dann habe ich deinen Vater fünf Jahre nicht gesehen, und die ganze Zeit habe ich mich nach seinen Berührungen gesehnt. Seitdem kann ich gar nicht genug davon bekommen.«
    Vater war genauso schlimm. »Deine Mutter ist die klügste Frau, der ich je begegnet bin«, hatte er Carla erst vor ein paar Tagen just in dieser Küche anvertraut. »Deshalb habe ich sie geheiratet. Natürlich fühlte ich mich auch körperlich von ihr angezogen …« Verlegen war er verstummt, und Mutter hatte verschämt gekichert,als hätte Carla mit ihren elf Jahren noch nie etwas von Sex gehört. Es war einfach nur peinlich.
    Doch bei aller Liebe krachte es hin und wieder zwischen den beiden. Carla kannte die Vorzeichen. Deshalb wusste sie, dass nun ein neuer Sturm am Ehehimmel aufzog. Sie betrachtete ihren Vater. Er war adrett gekleidet: gestärktes weißes Hemd, schwarze Seidenkrawatte. Wie immer sah er schick aus, obwohl sein Haar schütter wurde und seine Weste unter der goldenen Uhrenkette ein wenig spannte. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck erzwungener Ruhe. Carla kannte diese Miene. Vater setzte sie jedes Mal auf, wenn er sich über jemanden ärgerte.
    Er hielt ein Exemplar der Wochenzeitung in der Hand, für die Mutter arbeitete: Der Demokrat . Unter dem Namen »Lady Maud« schrieb sie dort eine Kolumne, in der sie sich über die neuesten Gerüchte aus der Welt der Politik und der Diplomatie ausließ. Nun las Vater laut vor: »Adolf Hitler, unser neuer Reichskanzler, gab auf einem Empfang des Reichspräsidenten Hindenburg sein Debüt in der diplomatischen Gesellschaft …«
    Der Reichspräsident war das Staatsoberhaupt, wie Carla wusste. Er wurde vom Volk gewählt, stand aber über der Tagespolitik. Der Mann, der in der Politik das Sagen hatte, war der Reichskanzler. Obwohl Hitler zum Kanzler ernannt worden war, hatte seine NSDAP nicht die Mehrheit im Reichstag; deshalb konnten die anderen Parteien deren schlimmste Exzesse verhindern. Bis jetzt.
    Walter war seine Abscheu deutlich anzuhören, als er den Namen Hitler aussprach, als hätte man ihn gezwungen, etwas Widerliches in den Mund zu nehmen. »Er schien sich in einem Frack sehr unwohl zu fühlen«, las er weiter vor.
    Maud nippte an ihrem Kaffee und schaute aus dem Fenster, als interessiere sie sich mehr für die Leute, die in Schal und Handschuhen zur Arbeit eilten. Auch sie gab sich kühl, aber Carla wusste, dass sie nur auf den richtigen Augenblick wartete.
    Die Zofe, Ada, stand in ihrer Schürze an der Anrichte und schnitt Käse. Sie stellte Walter einen Teller hin, aber der achtete gar nicht darauf, sondern fuhr fort: »Herr Hitler schien sehr angetan von Elisabeth Cerutti, der kultivierten Gattin des italienischen Botschafters, die in einem rosafarbenen, mit Zobel besetzten Samtkleid erschienen war …«
    Maud schrieb immer, was die Leute trugen, weil es den Lesern half, sie sich vorzustellen. Auch sie selbst besaß elegante Kleider, aber die Zeiten waren hart, und sie alle hatten sich seit Jahren keine schicken Sachen mehr gekauft. An diesem Morgen jedoch wirkte Maud schlank und elegant in ihrem marineblauen Kaschmirkleid, auch wenn es vermutlich so alt war wie Carla.
    »Signora Cerutti, wenngleich Jüdin, ist leidenschaftliche Faschistin. Sie und Herr Hitler haben lange miteinander gesprochen. Ob sie Herrn Hitler wohl gebeten hat, keinen Hass mehr gegen Juden zu schüren?« Vater knallte die Zeitung auf den Tisch.
    Jetzt geht’s los, dachte Carla.
    »Dir ist doch klar, dass du die Nazis damit in Rage bringst?«, sagte er.
    »Ich hoffe es«, erwiderte Maud kühl. »An dem Tag, an dem den Nazis gefällt, was ich schreibe, kündige ich.«
    »Die Nazis sind gefährlich«, mahnte Walter.
    Mauds Augen funkelten vor Wut. »Das weiß ich. Deshalb stelle ich mich ja gegen sie.«
    »Ich sehe nur keinen Sinn darin, sie wütend zu machen.«
    »Du greifst sie doch auch im Reichstag an«, sagte Maud. Walter war Abgeordneter der SPD .
    »Ja, aber im Rahmen politischer Debatten.«
    Typisch Vater, dachte Carla. Er war nüchtern und bodenständig, Mutter hingegen humorvoll und weltgewandt. Vater erreichte seine Ziele mit Ruhe und Hartnäckigkeit, Mutter mit Charme und spitzer Zunge. Die beiden kamen nie auf einen Nenner.
    »Mit den Nazis kann
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