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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy
Autoren: Stefan Schwarz
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    Der Erektion nach zu urteilen, musste es so gegen vier sein. Es ist völlig rätselhaft, aber es ist so: Die härteste Erektion, die ein Mann meines Alters überhaupt haben kann, ereignet sich kurz vor dem Morgengrauen. Um diese Zeit aber ist sie so nutzlos und unzeitgemäß wie eine dieser tollen Erwiderungen, die einem Stunden nach einem Streit plötzlich auf der Straße einfallen. Angeblich verdanken sich solche Erektionen gewissen nächtlichen Prüfroutinen des Körpers, aber mir war unklar, wieso dies in einer Exzellenz geschehen musste, die ich bei anderen und wesentlich wichtigeren Gelegenheiten mittlerweile dann doch gelegentlich vermisste.
    Draußen schien ein lampenheller Mond, der vermutlich auch nicht ganz unschuldig an der Sache war. Neben mir lag Dorit mit ihren prächtigen Hüften und atmete tief und gleichmäßig. Dorit, die jeden Morgen behauptete, schlecht oder gar nicht geschlafen zu haben. Stundenlang habe sie wach gelegen. Ihr tiefes und gleichmäßiges Atmen war offenbar nur vorgetäuscht. Wahrscheinlich lagen wir just in diesem Moment regungslos und ruhig atmend nebeneinander – und waren wach. Nur gab es keiner dem anderen zu erkennen. Zu zweit allein im Universum. Was für ein schönes Bild für unsere Beziehung. Schlicht und klug zugleich. Fast wie aus dem
Kleinen Prinzen
. Leider würde ich es mir nicht merken. Ich würde gleich wieder einschlafen, undder Schlaf würde das schöne Bild auslöschen wie Wellen ein Wort der Liebe im Ufersand. Auch sehr poetisch. War ich etwa in einem neuronalen Metaphernfeld eingerastet? Gezwungen, in Schönen Zungen zu reden?
    Die Erektion trollte sich nicht. Ich überlegte einen Moment, mich Dorit zu nähern. Andererseits schien mir die rein praktische Erektionsbeseitigung kein hinreichender Grund für Sex zu sein. Im Ehebett sollte es um Liebe gehen und nicht um Beihilfe. Hinzu kam, dass Dorit vermutlich ungehalten reagieren würde, wenn ich sie jetzt mitten im Tiefschlaf überraschte. Also lieber umdrehen und ganz bewusst an die Umsatzsteuervorauszahlung denken. Funktionierte sofort. Ich konnte wieder einschlafen.
     
    Zu sagen, ich komme morgens gut raus, wäre krass untertrieben. Ich starte in den Tag wie ein kapitalistisches Role Model, wie ein gottverdammter Leistungsträger. 6.15   Uhr. Die Augen klappen auf, und da sitz ich schon. Kaum sitz ich, da steh ich schon. Und zwar vorm Spiegel, während der Rasierpinsel über die handgesiedete Oliven-Avocado-Seife tremoliert. Ich balbiere mich mit schnellen Strichen. Mein Vater rasiert sich so vorsichtig, als gehöre sein Gesicht einem anderen, als wäre er nicht ganz sicher, ob diese Art Haut überhaupt rasiert werden darf. Ungeachtet seiner Vorsicht schneidet er sich hier und da und klebt dann kleine Fetzen Toilettenpapier auf die Schnitte. Ich schneide mich nie. Frisch gehe ich in die Küche, klopfe das Espressosieb aus und mahle eine neue Füllung hinein. Ich setze Haferbrei (die Packung für neunundzwanzig Cent – und zwar bei Rewe! Bei Aldi gibt’s die wahrscheinlich umsonst) auf, und ruck, zuck bin ich satt und koffeiniert. Alles schläft noch. Ich bin knallwach.
    Bereit, Großes zu schaffen. Voller Energie. Leider wird diese Energie in den nächsten zehn Minuten neutralisiert werden, genau dann nämlich, wenn ich meinen Sohn wecken muss, dessen Aufstehen keinerlei Selbstbeteiligung kennt.
    Ich öffnete die Tür zum Jugendzimmer und schaltete das Licht an. Das Zimmer roch säuerlich, als sei Geschlechtsreifung ein Gärungsprozess. Konrad lag regungslos mit der Decke zwischen den Knien auf dem Bett und tat so, als wäre Licht nur eine weitere Form der Dunkelheit. «Morgen, mein Sohn! Aufstehen!», sagte ich und ging wieder, aber nur, um nach einer Minute Fingertrommeln in der Küche erneut in Konrads Zimmer zu erscheinen. «Aufstehen!», sprach ich forsch das Bett an, «Du musst jetzt aufstehen!» Keine Reaktion. Auf dem Tisch blinkte Konrads Laptop im Ruhezustand. Sah nach einer unerlaubten Nachtschicht aus. Ich ging ans Bett und schüttelte ihn kurz an der Schulter, worauf er einen rindsähnlichen Laut des Unwillens hervorbrachte. «Los jetzt!» Früher hatte ich ihm in solchen Fällen die Decke weggezogen, aber Konrad war fünfzehn. Das gehörte sich nicht mehr.
    «Steh auf», sagte ich, breitbeinig vor dem Bett stehend. «Steh auf, oder ich check deinen Browser-Verlauf!» Das wirkte. Ich war mehr als sein Vater, ich war sein System-Administrator!
    «O Mann eh, ja eh, ich steh ja auf. Mann
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