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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Autoren: Ken Follett
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man nicht debattieren«, sagte Maud.
    »Ich mache sie jedenfalls nicht wütend auf mich.«
    »Wie denn auch? Du tust ja kaum etwas, um sie aufzuhalten.«
    Walter ärgerte sich über diese spitze Bemerkung. Seine Stimme wurde lauter. »Glaubst du vielleicht, du könntest ihnen mit deinen Scherzen etwas anhaben?«
    »Mit Spott und Ironie, jawohl.«
    »Was wir brauchen, Maud, ist eine sachliche Auseinandersetzung.«
    »Was wir brauchen, sind mutige Männer«, rutschte ihr heraus.
    Walters Zorn wuchs. »Siehst du denn nicht, dass du dich und deine Familie in Gefahr bringst?«
    »Die wahre Gefahr ist, die Nazis zu unterschätzen. Sollen unsere Kinder in einem faschistischen Staat aufwachsen?«
    Solche Diskussionen machten Carla jedes Mal Angst. Die Vorstellung, ihre Familie könne in Gefahr sein, war ihr unerträglich. Konnte das Leben nicht einfach so weitergehen wie bisher? Konnte sie nicht ewig morgens hier am Küchentisch sitzen, mit ihren Eltern, während Ada an der Anrichte stand und Erik, ihr Bruder, oben herumpolterte, weil er wieder mal spät dran war?
    Carla war mit politischen Diskussionen beim Frühstück aufgewachsen. Sie glaubte zu verstehen, was ihre Eltern taten und wie sie Deutschland zu einem besseren Land machen wollten. Doch in letzter Zeit waren die Diskussionen ernster und düsterer geworden. Offenbar glaubten ihre Eltern, dass irgendeine schreckliche Gefahr drohte, und Carla wusste nicht, wie diese Gefahr aussah.
    »Gott weiß, dass ich alles Menschenmögliche tue, um Hitler und seinen Pöbel aufzuhalten«, sagte Walter.
    »Das tue ich auch«, erwiderte Maud. »Nur hältst du deinen Weg für den einzig vernünftigen. Bei mir heißt es immer gleich, ich bringe die Familie in Gefahr.«
    »Das stimmt doch auch!«
    In diesem Augenblick kam Erik nach unten. Lautstark polterte er die Stufen hinunter und schlurfte in die Küche, den Ranzen über der Schulter. Er war dreizehn, zwei Jahre älter als Carla; über seiner Oberlippe zeigte sich bereits der erste dunkle Flaum. Früher hatten die Geschwister oft miteinander gespielt, aber das war vorbei. In letzter Zeit tat Erik so, als hielte er seine Schwester für dumm und kindisch. Dabei war sie in Wirklichkeit klüger als er. Carla wusste über Dinge Bescheid, von denen Erik keine Ahnung hatte, zum Beispiel über den Zyklus einer Frau.
    »Was hast du da vorhin zuletzt gespielt?«, wollte Erik von seiner Mutter wissen.
    Morgens wurde die Familie oft vom Klavier geweckt, einem Steinway-Flügel, ein Erbstück von Walters Eltern. Maud spielte frühmorgens, weil sie nach eigenem Bekunden tagsüber zu beschäftigt und abends zu müde war. An diesem Morgen hatte sie eine Sonate von Mozart gespielt, dann ein paar Takte Jazz.
    »Es heißt Tiger Rag«, beantwortete sie Eriks Frage. »Ein Jazzstück.«
    »Jazz ist dekadent«, verkündete Erik.
    »Was redest du für einen Quatsch?«
    Ada stellte Erik einen Teller mit Wurstbroten hin, die er heißhungrig herunterschlang. Carla fand seine Tischmanieren grauenhaft.
    Walter musterte seinen Sohn mit strengem Blick. »Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt?«
    »Wieso Unsinn? Hermann Braun sagt, Jazz ist keine Musik, sondern Negerlärm.« Hermann, dessen Vater NSDAP -Mitglied war, war Eriks bester Freund.
    »Dann sollte Hermann mal versuchen, das Stück zu spielen.« Walter schaute zu Maud, und seine Züge wurden weicher. Sie lächelte ihn an. »Vor vielen Jahren«, fuhr er dann fort, »hat deine Mutter versucht, mir Ragtime beizubringen, aber ich kam mit dem Rhythmus nicht zurecht.«
    Maud lachte. »Es war so, als wollte man einer Giraffe das Rollschuhfahren beibringen.«
    Die düsteren Wolken des Streits verzogen sich, wie Carla erleichtert erkannte. Sie fühlte sich gleich besser, nahm sich eine Schrippe und tunkte sie in Milch.
    Doch Erik war auf Streit aus. »Neger sind eine minderwertige Rasse«, sagte er aufsässig.
    »Das wage ich stark zu bezweifeln«, erwiderte Walter geduldig. »Würde ein Negerjunge in einem schönen Haus voller Bücher und Gemälde aufwachsen und würde man ihn auf eine teure Schule mit guten Lehrern schicken, wäre er vielleicht sogar klüger als du.«
    »Lachhaft!«, rief Erik.
    »Was dein Vater sagt, ist niemals lachhaft, du dummer Junge«, sagte Maud, doch ihre Stimme war sanft. Sie hatte ihre Wut an ihren Mann verbraucht. Jetzt klang sie nur ein wenig enttäuscht. »Du weißt doch gar nicht, wovon du redest, genauso wenig wie Hermann Braun.«
    »Aber die arische Rasse muss überlegen sein«,
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