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Wimsey 11 - Der Glocken Schlag

Wimsey 11 - Der Glocken Schlag

Titel: Wimsey 11 - Der Glocken Schlag
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Metapher zugleich Realität hat, ohne welche die Handlung nicht vorangehen könnte. Es ist eines der untrüglichsten Kennzeichen des guten Romans, daß sein Detail notwendig ist für den Fortgang des Ganzen.
    So ist die Lösung des Rätsels mit der Kunst des Wechselläutens verknüpft und der scheinbare Mord eine materielle Folge dieser Kunst. Wie alle Realität ist sie nicht eindeutig; sie hat eine unschuldige und eine schuldhafte, eine ästhetische, eine brutale und eine theologische Seite. Die Chiffre, deren Enträtselung die Wahrheit näher zu rücken verspricht, ist mit Hilfe der Glocken-Notation chiffriert. Dechiffriert verschiebt sie nur das Problem, indem an die Stelle des mathematisch formulierten Rätsels ein literarisch-biblisch formuliertes tritt. Der Pfar rer putzte seine Brille und machte große Augen.
    » Das sind Verse aus drei verschiedenen Psalmen«, sagte er …
    »› Er sitzet zwischen Cherubim‹. Das ist Psalm 99 Vers 1. Dann ›Des seien fröhlich die Eilande‹. Das ist Psalm 97 Vers 1. Beide Psalmen beginnen mit ›Dominus regnavit‹ – ›Der Herr ist König‹. Und dann kommt plötzlich ›wie die Bäche im Süden‹. Das muß Psalm 126 Vers 4 sein – ›Wie du die Bäche wiederbringst im Mittagslande‹. Das ist ein Fall von obscurum per obscuriora – die Lösung ist noch geheimnisvoller als das Rätsel selbst. «
    Schließlich, als auch die Entzifferung verstanden ist, führt sie zur Auffindung des Smaragdschmuckes, mit dessen Diebstahl die Kette der Ereignisse einst begonnen hatte. Das ist mehr als nur eine befriedigende Auflösung und auch mehr als die Wiederherstellung des früheren Zustandes. Denn wie früher kann nichts mehr sein, nachdem Zeit vergangen ist, und daß Zeit vergeht, wird in der Erzählkunst begreiflich gemacht, indem Schauplätze oder Dinge die gleichen bleiben; was sich wandelt, sind die Verhältnisse der Menschen. Der Verlust des Halsbands führt das Unglück nicht nur seiner Diebe herauf, sondern auch des Hauses Thorpe. Seine Auffindung ermöglicht den Märchenschluß. Die arme Waise Hilary Thorpe wird ein reiches Mädchen und gewinnt zwar keinen Prinzen, aber immerhin den Lord Peter Wimsey als verständigen Vormund für ihr Eigentum, und so wird sich auch ihr höchster Wunsch erfüllen, der im 20. Jahrhundert nicht mehr eine Krone ist, sondern (in seinem Wert nur allzuoft verkannt) die Möglichkeit zu studieren. Ihr wird Recht, nachdem den Ihrigen Unrecht widerfahren war; und vielleicht erfüllt sich auch noch der zweite Wunsch, den sie mit ihrer Erzeugerin Sayers gemein hat, der Wunsch, eines Tages Romane zu schreiben. » Wenn man versucht, sich vorzu stellen, wie alles zugegangen ist, kommt es einem mit der Zeit so vor, als ob man sich alles nur ausgedacht hätte. «
    » Hm!« machte Wimsey. »Wenn das in Ihrem Kopf so funktio niert, werden Sie eines Tages mal Schriftstellerin. «
    » Meinen Sie? Wie lustig! Das will ich nämlich wirklich wer den. Aber wie kommen Sie darauf? «
    » Weil Sie diese schöpferische Phantasie haben, die so nach außen wirkt, daß man schließlich außerhalb seiner eigenen Erlebnisse steht und sie als etwas sieht, was man selbst ge schaffen hat und was unabhängig von einem selbst existiert. Sie sind ein glücklicher Mensch. «
    Genauso existiert dieser Roman und das mit ihm erdachte Leben, aber konsequent, was dem Leben abgeht. Seine Konsequenz ist die der Erzählkunst überhaupt, vermehrt oder gesteigert durch die Konsequenz, die der detective story ei gen ist. Den Unterschied zwischen beiden kann man mit dem Unter schied zwischen dem gewöhnlichen Glockenspiel und dem change ringing vergleichen. Der englische Campanologe … sieht im Läuten von Melodien ein kindisches Spiel, das man getrost den Ausländern überläßt; zum rechten Gebrauch der Glocken gehört für ihn das Austüfteln mathematischer Permu tationen und Kombinationen. Wenn er von der Musik seiner Glocken spricht, meint er nicht etwa Musik im Sinne der Musi ker – noch weniger das, was der gewöhnliche Sterbliche unter Musik versteht … Der erfahrene Glöckner … erkennt zwischen den verschiedenen Variationsmethoden tatsächlich musikali sche Unterschiede … Der gute Roman ist wie die Musik der Musiker; auch sie hat ihre Baugesetze, ihre Abfolgen und ihre Tempi und stellt ein geschlossenes Ganzes dar. Die Kriminalgeschichte will mehr; sie potenziert die Folgerichtigkeit dadurch, daß sie aus der Handlung eine ›Aufgabe‹ macht, deren Lösung an die
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