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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Frayn
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nicht in London bleiben? Oder stimmte das Gerücht, dass die beiden jetzt irgendwo zusammen wohnten?
    Ein paar der Leute, die er kennt, scheinen bislang wie er nichts von der Anwesenheit der anderen gewusst zu haben, und es finden nun doch einige der vorherbestimmten Begegnungen in der einen oder anderen Form statt. Alle sind zu konfus, um so überrascht zu sein, wie sie es eigentlich hätten sein sollen, weswegen die Ereignisse nur wenig von der erwarteten Explosivität haben.
    »Ich dachte, Sie sollten den Vortrag halten, Wilfred?« sagt Georgie zu einem nahezu glatzköpfigen Mann, der verstört Seiten eines verstreuten Manuskripts aufsammelt. Oliver kommt der Name Wilfred bekannt vorher, er kann sich aber nicht erinnern, woher.
    »Ach ja?« fragt Wilfred.
    »Georgie?« sagt Nikki unsicher. »Du bist also hier?«
    »Nikki?« sagt Georgie ebenso. »Aber du bist doch in der Schweiz.«
    »Ach ja?«
    »Ja, und du auch«, sagt jemand anders zu Georgie – ein Mann, den Oliver schon irgendwo einmal gesehen hat, vor ein, zwei Monaten, und auf dessen T-Shirt aus unerfindlichem Grund die Wörter »Happy Days« gedruckt sind.
    »Wenn ich in der Schweiz bin«, sagt Georgie, »warum spionierst du mir dann hier nach?«
    »Theta-Funktion«, sagt ein kleiner Mann mit kaputter Brille. »Lambda … phi …«
    »Vierundsechzig Euro«, sagen zwei glatzköpfige dicke Männer, die unter Warzenbefall leiden. »Plus sechsundzwanzig Euro für Warten.«
    »Blut auf meiner Bluse!« sagt Annuka gereizt. »Eine Serviette bitte! Wasser! Oh, es stammt von mir. Kann mir jemand einen Verband holen?«
    Es herrscht Schweigen, während Annuka mit der rechten Hand Blut von ihrer Bluse tupft und mit der linken darauf blutet.
    Ein Mann in T-Shirt und Skaterhose, den Oliver noch nie gesehen hat, liegt auf dem Boden mit hoffnungslos blutbeflecktem Bauch. Eine sonderbare Gestalt beugt sich über ihn, eine Kerze in der Hand, und fühlt dem Opfer entweder den Puls oder raubt es aus. Das glatte graue Haar fällt ihr übers Gesicht wie ein Trauerschleier, und als sie sich aufrichtet, erinnert ihr ausgemergeltes faltiges Gesicht Oliver im Kerzenlicht an einen Troll, den er einmal in einem Computerspiel gesehen hat. Die Gestalt steht da und hält Oliver ein kleines Büchlein vor die Nase auf eine Weise, die stillen Vorwurf zum Ausdruck bringt. Einen Augenblick glaubt Oliver, dass es sich um die Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung handelt. Er sieht das Bild des Vorsitzenden Mao, doch als der Mann Buch und Kerze bedrohlich nahe vor sein Gesicht hält, erkennt Oliver, dass es sein eigenes ist.
    »Danke«, sagt er, nimmt der trollähnlichen Gestalt den Pass aus der Hand und geht.

50
    Innerhalb von Sekunden nach der Eruption auf der Agora breitete sich eine Art Schockwelle auf dem Gelände der Stiftung aus, während die Gäste entsetzt in ihren Häusern Zuflucht suchten oder zu ihren wartenden Limousinen stolperten. Die Ereignisse hatten mittlerweile einen solchen Grad an Komplexität erreicht, dass niemand in der Lage gewesen wäre, auch nur entfernt angemessen zeitgleich darüber zu berichten. Sie konnten nur im nachhinein rekonstruiert und nacherzählt werden. Die Zeitschrift für Wissenschaftsmanagement war dafür am besten geeignet, da ein Korrespondent vor Ort war, und sie hätte weltweit exklusiv über die Katastrophe informieren können, wenn Wellesley Luft, der noch immer hoffnungslos unter Jetlag litt, das gesamte Geschehen nicht verschlafen hätte. Die amtliche Untersuchungskommission war jedoch schließlich in der Lage, aus den Aufnahmen der diversen Überwachungskameras eine Art Narrativ zusammenzustellen, allerdings ohne Ton; das meiste Material davon ist jetzt für jeden, der sich dafür interessiert, im Internet zugänglich.
    Hier sieht man zwei Limousinen, die, weil sie es so eilig haben, wegzufahren, geräuschlos zusammenstoßen und die Ausfahrt des Parkplatzes blockieren. Ein Wachmann (Giorgios) versucht die Fahrer zu trennen, die ausgestiegen sind und sich prügeln, doch dann gehen beide auf ihn los, und er zieht sich mit der Hand auf der Nase zurück, während andere Wagen versuchen, die Blockade zu umfahren, indem sie sich einen Weg durch die Bougainvilleahecke erzwingen.
    Die Aufnahmen der Kameras im Hafen zeigen noch konfusere Szenen. Mitglieder der Crews und Sicherheitsdienste packen ihre Arbeitgeber in Dinghies und Begleitboote und haben es so eilig, abzulegen, dass zahlreiche Personen versuchen müssen, den zunehmend größer werdenden
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