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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
Autoren: Lene Kaaberbol
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wieder zu Boden zu schlagen.
    Abscheu wallte in mir auf wie eine schwarze Welle.
    Blutdieb , zischte eine Stimme in meinem Innern. Lebensräuber!
    »Lass los, was nicht dir gehört!« Die Stimme kam aus meinem Mund, tiefer als meine eigene, hart und fremd. Und dann passierte … ich weiß nicht, wie … es ist schwer zu …
    Ich kann es nicht erklären. Etwas schoss aus mir heraus. Etwas Scharfes, Schimmerndes, wie ein Messer oder ein Schwert. Ja, wie ein Schwert. Sogar ein singendes, metallisches Geräusch durchschnitt die Luft.
    Und Chimära schrie.
    Ein Flügel lag auf der Erde. Nur für einen kurzen Augenblick behielt er seine Form, dann löste er sich vor meinen Augen auf. Feder für Feder fiel er auseinander, und jede Feder flimmerte auf und verwandelte sich in einen Vogel. Eine Drossel, ein Spatz, ein Mäusebussard, ein Fischreiher. Ein riesengroßer Seeadler, ein winzig kleiner Zaunkönig.
    Es waren Hunderte. Keine lebenden Vögel, das kapierte sogar ich, obwohl ich komplett unausgebildet und kaum trocken hinter den Ohren war. Sie hatten etwas Leichtes, Durchsichtiges, und die Flügel des Seeadlers glitten durch die Drossel, ohne dass einer von beiden es zu bemerken schien. Vogelgespenster. Oder, vielleicht trifft es das besser, Vogelseelen. Das war alles, was von den Tieren übrig war, deren Leben und Vogelhaftigkeit sie gestohlen hatte – für jede einzelne Feder ein Leben. Das also war der Preis, den Chimäras Flügel gekostet hatten.
    »Den zweiten auch«, flüsterte ich der neuen Stimme in meinem Innern zu.
    Chimära schwankte schon, sie konnte das Gleichgewicht nicht halten. Das Gewicht des anderen Flügels zog sie nach unten, jetzt, wo kein Gegenspieler mehr da war.
    Ich glaube, ich hätte gar nicht darum bitten müssen. Das Schwertgefühl stieg in mir auf, noch ehe die Worte meinen Mund verlassen hatten. Dieses Mal tat es weh, mehr als beim ersten Mal. Als müsste die Klinge sich erst einen Weg aus mir herausschneiden, um die gestohlenen Vogelleben von Chimära zu trennen. Aber auch der zweite Flügel fiel. Und die Grotte füllte sich mit Flügelrauschen und Vogelstimmen, heisere Krähen und rufende Wildgänse, Möwengeschrei und die Rufe des Mäusebussards, benommen, aber frei. Brausend stiegen sie auf und verschwanden, als existierten die Wände der Grotte gar nicht.
    Chimäras Augen blitzten. Jetzt war sie es, die durch den Sand der Grotte kroch, ohne eine Feder am Leib. Sogar ihre Klauen waren bis auf sehr lange Fingernägel verschwunden.
    »Mutter!«, piepste Nichts und drückte sich an ihr Bein. »Was passiert hier?«
    Chimära trat heftig mit dem Bein aus, und das kleine Federknäuel flog durch die Luft und knallte mit einem scheußlichen nassen Geräusch an die Felsenwand.
    »Nein!«, schrie ich, denn dieses eine hoffnungslose Leben empörte mich noch viel mehr als die vielen Hundert anderen, die nicht geniest, mich nicht vollgekleckert und nicht gefragt hatten, was das Wort »Freunde« bedeutete. »Das tust du nicht! HAU AB! Verschwinde. VERSCHWINDE. GANZ. WEG. «
    Die Worte kamen tief aus meinem Innersten. Sie waren ebenso scharf wie das Schwertgefühl. Sie brachen aus mir heraus, blutverschmiert und glühend heiß, und sie trafen Chimära wie ein Hammerschlag.
    Hatte sie geschrien, als die Stimme ihr den ersten Flügel genommen hatte, so war das nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt tat. Ihr Schrei erfüllte die ganze Höhle, sodass ich für einen langen Moment keine Luft bekam. Er hielt an und an. In diesem Schrei lag noch immer genauso viel Vogel wie Mensch, Todesangst und Schmerz, aber auch Hass, Raserei und Rachsucht.
    Daaafüüüürrr …
    Wiiiiiiirrrrrst …
    Duuuuuuuu …
    Bezaaaaaaaaaaahhhhllleeeeennn …
    Ich hielt mir die Ohren zu, aber das genügte nicht. Ich musste auch die Augen schließen.
    Erst als es eine ganze Weile still geblieben war, öffnete ich sie wieder. Chimära war weg. Ganz weg, so, wie ich gesagt hatte. Nicht mal mehr eine Feder oder ein Haar war zurückgeblieben.
    Ihr milden Mächte , murmelte die Stimme in mir. Das Mädchen kann es ja doch …
    Die vier Tiere waren noch da. Der Seehund, die Wildgans und die Feuerechse sahen verunsichert zu mir hoch, als konnten sie nicht glauben, dass es überstanden war. Der Maulwurf sah nichts mehr. Ein letztes Zittern ging durch seinen kleinen dunklen Körper, dann war es vorbei.
    »Geht«, sagte ich zu den anderen. »Ihr seid frei. Geht jetzt …«
    Frei. Das Wort erinnerte mich an Nichts, und ich drehte dem Rad den
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