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Wilde Erdbeeren

Wilde Erdbeeren

Titel: Wilde Erdbeeren
Autoren: Edna Meare
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Jahren bin ich Oberarzt am Liebig-Krankenhaus und seit sechs Jahren gehen wir am zweiten Juliwochenende auf die Geburtstagsparty zu Professor Julius Sollwedel. Das kann man sich doch wohl merken.“
    Und ich habe seit zweiunddreißig Jahren am siebzehnten Juli Geburtstag und bis auf die ersten glücklichen drei, vier Jahre unseres Zusammenseins hast du das Datum immer vergessen
! hätte Melanie beinahe herausposaunt, aber sie schluckte die Worte noch rechtzeitig hinunter. Phillips Laune befand sich mal wieder im Keller, er war streitsüchtig und suchte wahrscheinlich nur einen Grund, sie mal wieder so richtig niederzumachen. Da war es besser, den Mund zu halten und ihn nicht noch mehr zu reizen.
    „Es tut mir Leid“, log sie eilig. „Wirklich. Ich ziehe mich rasch um und dann können wir gehen.“
    „Lass dir lieber etwas Zeit“, versetzte Phillip grantig, während er ins Zimmer kam. „Ich will, dass du einigermaßen passabel aussiehst und nicht wie meine Putzfrau.“
    „Mehr bin ich ja auch nicht.“ Diesmal war ihr Mund schneller als ihr Verstand. Melanie hätte sich die Zunge abbeißen können, doch es war schon zu spät. Phillip hatte die Worte gehört und stürzte sich darauf wie ein Hund auf einen Knochen.
    „Zu mehr taugst du ja auch nicht!“, schrie er sie an. „Sieh dich doch mal an! Du bist jetzt schon alt und hässlich! Ich frage mich wirklich, wie man innerhalb so weniger Jahre derart nachlassen kann. An dich geht doch nicht mal ein Kerl, der zehn Jahre auf dem Trockenen gesessen hat.“
    „Es ist gut“, murmelte Melanie. Sie umrundete ihn in großem Bogen und lief aus dem Zimmer.
    „Und dusch dich noch mal!“, rief er ihr hinterher. „Du riechst wie eine nasse alte Katze!“
    Sie gab einen erstickten Laut von sich. Hastig presste sie sich die Faust an den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, das aus ihr herausbrechen wollte. Halbblind von Tränen eilte sie die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer, schmiss die Tür hinter sich zu und warf sich aufs Bett. Jetzt konnte sie endlich ihren Tränen freien Lauf lassen. Das Gesicht in die Kissen gedrückt, um die Geräusche zu dämpfen, weinte sie bis sie das Gefühl hatte, innerlich vollkommen ausgetrocknet zu sein.
    Zugleich ärgerte Melanie sich über diesen Ausbruch. Wieso legte sie sich nicht endlich eine Hornhaut zu, die ihre Seele vor Phillips Verletzungen schützte? Stattdessen traf jedes seiner Worte und jeder seiner Blicke, in denen seine ganze Verachtung stand, mitten hinein in ihr Herz und schienen es zu zerreißen.
    Auf dem Flur wurden Schritte laut und erinnerten Melanie daran, dass sie sich beeilen musste. Mit einem Ruck setzte sie sich auf und stieg aus dem Bett. Was sollte sie nur anziehen? Wenn ihr doch bloß rechtzeitig diese blöde Party eingefallen wäre, dann hätte sie gestern noch in die Innenstadt fahren und sich ein passendes Kleid kaufen können. So musste sie das von vor drei Jahren anziehen, von dem Kati behauptete, dass es so gut zu ihren Augen und Teint passte.
    Sie eilte an den Schrank, nahm das gute Teil heraus und befreite es von der Plastikhülle, in der es seit drei Jahren steckte. Danach betrachtete Melanie es kritisch. Würde sie Phillip darin gefallen? Ach was denkst du?, schalt sie sich spöttisch. Den interessiert es doch nicht die Bohne, was du anhast. So lange du nicht nackt oder in einer Kittelschürze auftrittst und ihn damit blamierst, ist ihm dein Outfit shitegal.
    Dummerweise roch das Kleid irgendwie muffig. Entschlossen trug Melanie es zur offenen Balkontür, hängte es dort am Rahmen auf und besprühte es mit einem Freshener-Spray. Das Zeug roch intensiv nach irgendeiner tropischen Frucht, aber Melanie hoffte, dass der Duft verschwand, wenn das Kleid eine Weile am offenen Fenster hing.
    Mit frischer Unterwäsche in Händen ging sie anschließend ins Bad hinüber und zog sich aus. Der Spiegel zeigte ihr das Bild einer noch jungen, nicht ganz schlanken Frau, die mit müden Augen zurücksah. Nein, Melanie mochte ihre Spiegelschwester nicht, denn die sah aus wie Phillip sie sah: unattraktiv, welkend, mit sich langsam auflösenden Konturen.
    Angewidert und schockiert zugleich wandte sie sich ab und stieg in die Duschkabine. Als sie eine Viertelstunde später geschminkt und frisiert in ihr Schlafzimmer zurückkehrte, hatte sich der Spraygeruch verflüchtigt und auch das Kleid roch jetzt fast neutral. Die Spritzer Parfüm, die sie sich selbst und dem Kleid nun noch verpasste, tilgten auch die letzten
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