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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition)
Autoren: Lena Klassen
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Tochter. Untersteh dich, deiner Mutter je wieder solche Angst zu machen.
    Es gelang mir, zurückzulächeln, obwohl die Tränen sehr nah waren in jenen Tagen.
    Alfred hatte mich untersucht. Mir die Matte in seinem Zelt zugewiesen, als wäre er mein Vater. Niemand durfte mich besuchen. Auch nicht Jeska. Ich hörte sie vor dem Zelt schreien: »Pia! Du bist wieder da? Pia, ich bin hier!«
    Ich war zu schwach, um zurückzuschreien. Konnte nur flüstern.
    »Ich musste doch wieder zu euch. Nach Hause.«
    Alfred hörte es, er nickte. Vielleicht würde er es ihnen mitteilen. Er war vorsichtig, was den Kontakt zu den anderen anging, teilte meine Isolation.
    Jeden Tag nahm er mir Blut ab.
    Wir brachen das Lager ab und zogen her.
    Hier waren wir.
    Ich durfte wieder nach draußen, aber immer noch hielt ich mich von allen fern. Nur meine Schwester war nicht von mir fernzuhalten.
    Ich folgte Jeska zu Alfreds unterirdischem Waggon und stieg die Leiter hinunter. Sie wartete oben. Alfred war recht eigen, was sein kleines Reich da unten anging.
    »Pia.«
    »Die bin ich.« Ich wartete.
    »Du bist nicht mehr ansteckend. Die Ergebnisse sind endlich eindeutig. Entwarnung.«
    Er wartete auf meine Freude, aber ich war wieder einmal stumm. Überwältigt von zu vielen Gefühlen.
    »Was noch?«, fragte ich schließlich.
    »Ich habe den Erreger isoliert«, sagte er. »Du hast mir Morbus Sechs mitgebracht, Pia. Das ist fantastisch. Es ist noch viel besser als Morbus Fünf. Eine gefährliche Krankheit, die unweigerlich zum Tode führt.«
    In seiner Begeisterung erinnerte er mich an meine Lehrerin Venus.
    »Aber ich bin nicht gestorben.«
    »Du, meine liebe Pia, bist eine Ausnahme.« Er strahlte mich an, als würde er im Glücksstrom schwimmen.
    »Und das heißt?«
    »In deinem Blut sind Antikörper. Du hast ein bemerkenswertes Immunsystem, meine Liebe. Ich wette, du wirst nicht so schnell krank.«
    »In Neustadt gibt es keine Krankheit.«
    »Stimmt auch wieder. Aber deshalb sind die meisten dort umso anfälliger. Ihr Immunsystem ist schwach, weil es nicht gefordert wird. Eine Grippewelle, und sie würden alle dahingerafft. Doch du … ich habe deine Gene analysiert, Pia. Deshalb hat es so lange gedauert. Du bist mein Heilmittel. Du bist einzigartig. Du bist eine Mutation. Du bist ein Wunder, Kind!«
    »Was? Ich bin was?«
    »Aus deinem Blut werde ich ein Heilmittel gegen Morbus Sechs kreieren«, kündigte er an. »Begreifst du, was das heißt? Wir haben eine Waffe gegen die Jäger. Eine Waffe gegen ganz Neustadt. Wenn wir die Besatzung eines Hubschraubers infizieren … nicht auszudenken, oder? Sie werden uns endlich zuhören müssen. Wir können das Morden beenden. Wir können endlich Paulus’ Stadt bauen, eine Stadt für uns, im Wald!«
    Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Ich bin eine Mutation?«
    »Ja«, sagte er. »Die meisten Kinder in Neustadt sind aus dem Labor. Klone. Das habe ich dir schon früher erzählt. Mit diesen eingefrorenen Embryos lassen sie die Vergangenheit fortleben. Aber du bist ein echtes Kind. Du bist die Zukunft. Du bist der neue Mensch.« Er kicherte. »Ein Mensch, der nicht kompatibel ist mit dem Glücksstrom. Deshalb mussten sie dir immer so eine starke Dröhnung verpassen, verstehst du? Weil die Droge bei dir nicht wirkt. Selbst Viren beißen sich an dir die Zähne aus. Du hast ein verändertes Immunsystem. Ein weiterentwickeltes. Oh mein Gott, es ist so unglaublich! So fantastisch!«
    Der neue Mensch. Jemand mit einem besseren Immunsystem. Na toll.
    »Lucky war auch das Kind seiner Eltern«, sagte ich leise.
    »Du hast eben Glück«, sagte er.
    Glück. Er ließ das Wort fliegen wie einen Pfeil. Wie einen Vogel, den er frei ließ.
    Aber es war noch zu früh für mich, glücklich zu sein.
    Ich musste dringend hier raus, an die frische Luft.
    »Ich werde eine Waffe schmieden!«, rief Alfred, während ich schon nach oben kletterte. »Wir werden Neustadt das Fürchten lehren!«
    Die Zweige flochten ein Netz aus Licht und Schatten. Der Wald empfing mich und beruhigte mein Gemüt. Sieh hin, sagte er. Siehst du? Riechst du? Atmest du? Fühlst du?
    Ja, antwortete ich. Ja.
    Bereust du es? Bereust du jenen Kuss, der Lucky die Freiheit gab? Er hat es nicht bereut. Er nicht. Du weißt, sagten die klaren Gedanken, dass er damit einverstanden war, noch einmal die Sonne zu sehen. Dass es sich lohnt, für einen Kuss und eine Winternacht im Eis zu sterben. Für ein paar Fieberträume und ein viel zu kurzes Abenteuer. Er war ein
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