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Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer

Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer

Titel: Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer
Autoren: Brunnen Verlag , Lynn Vincent
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schlimmer!
    Wer kennt nicht die Redensart: „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen?“ Ich hatte mir gewünscht, aus meiner Langeweile erlöst zu werden. Und mein Wunsch wurde erfüllt – mehr, als mir lieb war.
    Die Falklands lagen etwa 2.400 km hinter mir. Es war Nacht. Der Wind hatte kräftig aufgefrischt und ich hatte die Segel gerefft. Die schönen, milden Temperaturen gehörten längst der Vergangenheit an und ich trotzte der Kälte mit mehreren Kleiderschichten. Wie immer stand das Wasser in meinen Stiefeln und meine Füße waren nass und kalt.
    Dann legte der Wind plötzlich noch mehr zu. Mein Windmesser zeigte Böen von bis zu fünfzig Knoten. Ich wusste, es hatte keinen Zweck, noch mehr zu reffen. Ich musste das Großsegel bergen – bei solch einer Windstärke eine harte Knochenarbeit, denn das Segel ist riesig und dazu sperrig in der Handhabung. Ich legte meinen Lifebelt (Sicherheitsgurt) an, ging nach oben und klinkte die Karabiner in die vom Bug zum Heck gespannten Seile. Die Nacht war pechschwarz. Nur die Gischt der Wellen, die über Bord spülten, leuchtete perlweiß.
    Ein eisiger Wind fegte übers Deck, mit gefühlten über fünfzig Knoten. Zum Vergleich: Das war etwa so, als ob man bei 90 km/h auf einem Autodach steht. Ich fierte das Großsegel etwas auf, worauf es sofort wie wild zu flattern begann. Um das Segel zu bergen, musste ich über den Großbaum steigen und ein Stück weit den Mast hinaufklettern. Allerdings kam ich nicht weit, da die Sicherungsleinen zu kurz waren. Ich klinkte sie aus, befestigte sie am Baum, klinkte mich wieder ein und arbeitete weiter.
    In dem Augenblick donnerte eine Windbö ins Großsegel wie ein Güterzug. Der Autopilot stürzte ab, die
Wild Eyes
drehte mit dem Heck durch den Wind und der Großbaum schwang herum. Das Boot krängte nach Backbord und wurde wie von einer Riesenfaust aufs Wasser gedrückt. Ich verlor den Halt – und fiel und fiel und fiel. Panik durchzuckte mich. Die
Wild Eyes
lag beinahe flach auf dem Wasser, als es einen Ruck gab – die Sicherungsleine war zu Ende.
    Hilflos hing ich da, mein Boot krängte um mindestens achtzig Grad, segelte praktisch hochkant auf der Seite und machte dabei noch Fahrt. Zum Glück hatte das Backstag verhindert, dass der Baum ganz nach Backbord überging und mich vom Deck fegte oder unter Wasser drückte.
    Das Deck der
Wild Eyes
ragte in die Höhe wie eine Steilwand, rechtwinklig zur Wasseroberfläche. Das Großsegel hing über mir wie ein Dach, und ich baumelte an meiner Sicherungsleine am Großbaum. Das Boot schoss noch immer vorwärts, bockte wild in der aufgewühlten See und schleifte meine Beine durchs Wasser.
    Mein Herz raste. Angst schnürte mir die Kehle zu.
Ruhig bleiben, Abby
. Ich musste einen Ausweg finden.
Was soll ich tun?
    Mit bloßen Füßen tastete ich das Deck unter mir ab, bis ich auf eine eiserne Strebe stieß. Ich hakte beide Füße darunter fest und zog mich mit den Beinen näher zum Boot. Mit einer Hand suchte ich über meinem Kopf nach irgendeinem Halt. Endlich bekam ich etwas zu fassen: den Griff, der an der kuppelförmigen Überdachung der Kajütenleiter angebracht war.
    Das ist meine Rettung!
    Mit beiden Händen umklammerte ich den Griff. Aber ich saß immer noch in der Falle. Ich war zu weit weg, um das am Baum befestigte Ende der Sicherheitsleine zu erreichen. Und selbst wenn ich die Leine lösen könnte, würde mich die Schwerkraft im selben Moment ins Meer katapultieren und die
Wild Eyes
würde ohne mich weitersegeln.
    Der Wind heulte. Eiskalte Wellen brachen sich an meinem Körper. Dazwischen stand ich im knietiefen Wasser. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Ich hatte nur eine Chance: Ich musste die Leine an meinem Sicherheitsgurt ausklinken.
    Ich hatte die Wahl zwischen „Leine ausklinken und sterben“ oder „Leine nicht ausklinken und sterben“. Mein Leben hing am seidenen Faden.
    Ohne Sicherheitsgurt gab es keine Sicherheit mehr, keinen einzigen Halt. Eine große Welle im falschen Augenblick und ich würde ins Meer gespült. Bei einer Wassertemperatur von knapp unter zehn Grad Celsius würde ich vielleicht zwanzig Minuten überleben.
    Dann lieber schnell und schmerzlos ertrinken.
    Klinkte ich die Leine nicht aus, blieb ich hilflos in der Luft hängen. Ich musste zurück auf mein Boot! Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste es wagen.
    Ich glaube, in dem Augenblick waren der Adrenalinschub und mein Wille zu überleben größer als
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