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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch
Autoren: Michael Wigge
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dem Atomausstieg zu tun hätte. Ich merke, dass ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht habe, und gerate ins Schleudern. Schließlich siegt aber am Stand der Pragmatismus, und der Verbandschef hält Rücksprache mit der Parteibasis, die sich alle erfreut zeigen bei der Aussicht auf eine kleine Erfrischung. Der Verbandschef stimmt dem Tausch zu, wünscht sich von mir als Gegenleistung aber noch einen Werbespruch für die Grünen. Nichts leichter als das, denke ich, und sage selbstbewusst in meine Videokamera: »Die Grünen stehen für Atomausstieg, also wählt bitte alle die Grünen!«
    Schließlich verlasse ich den Stand also befreit von fünfzig Smoothie-Flaschen, dafür um eine ein Meter große Endlagerungstonne reicher, die ich auf meinen Schultern zum Transporter schleppe.
    Es ist zwar nicht gerade ein Kinderspiel, die Tonne auf den Schultern durch die Stadt zu balancieren, aber immerhin gelingt es mir, ein paar Minuten am Stück zu laufen. Im Vergleich zum Transport der Smoothie-Flaschen, die ich regelmäßig vom Boden aufsammeln musste, eine reine Wohltat. Und die Tonne hat noch einen weiteren unerwarteten Vorteil: Sie steigert eindeutig meinen ethischen Status. Vorbeifahrende Autofahrer heben anerkennend den Daumen, und Passanten rufen mir Sympathiebekundungen zu: »Ja, raus aus der Atomkraft!« Zuerst habe ich das Gefühl, dass ich hierfür doch gar nichts kann und versuche die Situation zu erklären, aber dann finde ich Gefallen an der Rolle. Schließlich war es auch nicht leicht, an die Tonne zu kommen. So grinse ich zufrieden zurück und bin stolz, auf meine Art auch einen Beitrag zur Demo geleistet zu haben.
Hermann forever
    Ich fahre in Richtung Paderborn in Westfalen, um dort Frank, einen Bekannten, zu besuchen, der in einer Scheune alte Badewannen restauriert. Frank hatte mir im Vorfeld der Tauschreise zugesichert, dass ich bei ihm eine seiner Badewannen eintauschen könne, sofern das Tauschgut einen entsprechenden Gegenwert habe. Beim Anblick der Endlagerungstonne wird sein Gesichtsausdruck ernst. Er versucht mir gegenüber höflich zu bleiben und erklärt, dass eine solche Tonne für ihn nicht gerade vielseitig einsetzbar sei.
    Glücklicherweise bin ich auf diese Reaktion vorbereitet. Sofort unterbreite ich ihm meine im Vorfeld erarbeiteten Vorschläge für eine alternative Verwendung der Tonne, die ich ihm an Ort und Stelle vorführe:
Endlagerungstonne als Barhocker
Endlagerungstonne als Trommel
Endlagerungstonne als Versteck
Endlagerungstonne als Bodybuildung-Gewicht
Endlagerungstonne als Ganzkörpermassage-Tonne
    Frank lacht und lässt sich von meinen unkonventionellen Vorschlägen und meiner darstellerischen Leistung überzeugen. Er geht mit mir in seine Scheune, wo er auf eine Auswahl von Tauschobjekten deutet: ein altes Fahrrad mit einem Platten, eine noch viel ältere Nähmaschine und einen roten und keineswegs jüngeren, kaputten Rasenmähertraktor. Die Entscheidung fällt mir leicht. Ein fahrbarer Rasenmäher ist ein weiterer meiner Kindheitsträume, den ich mir hier ganz unerwartet erfüllen kann.
    Also wechseln wir gemeinsam das Reibrad des Rasenmähers, so dass er eine Stunde später tatsächlich laut knatternd anspringt. Frank hat das Glitzern in meinen Augen beim Anblick des laufenden Gerätes offensichtlich bemerkt, denn er schiebt sofort eine weitere Forderung hinterher. Bevor ich mit meinem Schmuckstück von dannen ziehen darf, soll ich eben noch seine Wiese neben der Scheune mähen. Es sind anderthalb Hektar, geschätzte Arbeitsdauer mindestens fünf Stunden. Ich beginne lieber sofort, und Frank genießt es sichtlich, mir auf der Endlagerungstonne stehend zuzuschauen, wie ich endlose Bahnen auf der Wiese ziehe. Wenn ich in den Weiten der Wiese verschwinde, winkt er mir ab und zu aufmunternd zu. Nach einer halben Stunde scheint er Mitleid mit mir zu haben und winkt mich herbei, ich kann mir endlich den ersehnten Handschlag für die endgültige Übergabe abholen.
    Mein nächstes Etappenziel ist der Bodensee. Dort habe ich mich in der Kleinstadt Wangen mit Mitgliedern eines Tauschrings verabredet, die das Tauschen nun schon seit vielen Jahren als alternative Methode zum Bezahlen mit Geld praktizieren. Doch zuerst einmal muss ich mit meiner Neuerwerbung dorthin kommen und vielleicht bietet sich ja unterwegs die eine oder andere Möglichkeit zu einem kleinen Tauschgeschäft.
    Auf der langen Strecke quer durch Deutschland gönne ich dem Traktor an einigen Orten eine kleine
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