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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch
Autoren: Michael Wigge
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Aber ein so hohes Tauschangebot abzulehnen wäre dem Tauschring gegenüber ein unverschämter Fauxpas. Noch bevor ich verarbeiten kann, was gerade geschehen ist, sehe ich bereits drei Schüler wild auf Hermann herumspringen, offensichtlich suchen sie das Gaspedal. Es ist geschehen – ich habe Hermann getauscht.
    Am nächsten Morgen transportiere ich ihn zur Schule, wo der Lehrer mir für die 400 Talente eine Eselkutsche anbietet, die ganz offensichtlich weit mehr wert ist als Hermann. Ich willige ein und mache mich daran, die Kutsche zusammen mit den Schülern in den Transporter zu hieven. Aber was wir auch probieren, sie passt nicht hinein. Die massive Deichsel ragt hinten weit aus dem offenen Transporter heraus. So kann ich sie unmöglich befördern. Ich schlage vor, das ganze Tauschgeschäft wieder rückgängig zu machen, aber die Schüler knattern schon mit Hermann über den Rasen vor der Schule. Der Lehrer erkennt die verzwickte Lage und ruft die Schüler zu einer Diskussionsrunde zusammen, wo entschieden wird, dass ich den Kickertisch aus dem Klassenraum und eine kleine, blaue Plastikhandwaschmaschine bekommen soll, die mit einer Drehkurbel betrieben wird. Man kann maximal ein Paar Socken darin waschen. Ich willige ein, erleichtert darüber, dass ich die Alpen nicht in einer Eselkutsche überqueren kann. Nachdem alles verstaut ist, fahre ich winkend davon. Der Abschied ist trotz aller Erleichterung traurig. Ich habe das Gefühl, dass Hermann mir knatternd Tschüss sagen will. Im Rückspiegel werfe ich einen letzten Blick auf Hermanns neues Zuhause und sehe, mit welcher Freude die Zwölfjährigen den Schulrasen mähen. Und da weiß ich plötzlich, dieser Tausch war genau richtig.

Ö sterreich
    I ch fahre mit dem Kickertisch und der Handwaschmaschine im Transporter über die Grenze nach Österreich. In Vorarlberg schaue ich noch bei einem weiteren Tauschring vorbei, den mir Frau Feustel vom Tauschring Wangen ans Herz gelegt hat. Ich treffe den Leiter, Herrn Müller, der mir stolz erklärt, dass das Tauschringprinzip hier noch weiter verbreitet ist als im befreundeten Wangen. Insgesamt 150 Geschäfte und Betriebe in Vorarlberg sind nach Aussage von Herrn Müller an das Tauschring-Talente-System angeschlossen und nehmen neben Euro auch Talente an.
    Ich probiere es direkt aus und gehe mit meinem deutschen Tauschringkonto, auf dem noch einige Talente verbucht sind, in eine lokale Bäckerei. Dort bestelle ich ein Frühstück und bekomme einen Kassenbon mit einem Eurobetrag und direkt darunter einem Betrag von 39,1 Talenten, ich kann wahlweise bezahlen. Ich bin baff, dass die Idee des Tauschrings hier tatsächlich so akzeptiert ist. Neben mir in der Bäckerei kauft eine Kundin ihre Brötchen ebenfalls über ihr Talente-Konto ein. Sie erklärt mir, dass sie dieses Prinzip nutzt, um lokalen Betrieben das Überleben zu sichern, anstatt bei großen Ketten mit Euro einzukaufen. Sie beschreibt mir einen geschlossenen Tauschring: Ein Kunde kauft in einem Café ein Stück Kuchen, daser in Talenten bezahlt. Das Café kauft den Kuchen beim Bäcker ebenfalls in Talenten. Der Bäcker wiederum kauft sein Mehl beim Mehlproduzent und zahlt natürlich in Talenten und zahlt seinen Angestellten ihren Lohn ebenfalls in Talenten aus. Diese Angestellten können dann wiederum ihren Kuchen im Café mit Talenten bezahlen.
    Ich bin beeindruckt, diese reale Form des Tauschrings macht Sinn. Ich weiß, wie wichtig es ist, kleine Betriebe zu unterstützen, schließlich bin ich selbst in einem 600-Seelen-Ort im Sauerland geboren, der in den 80er Jahren noch einen eigenen Bäcker, einen Einkaufsladen und eine Bank hatte. Wenn ich heute durch das Dorf fahre, finde ich kein einziges Geschäft mehr. Die Einwohner müssen zwanzig Kilometer zur nächsten Kleinstadt fahren. Es findet einfach kein Austausch von Waren innerhalb des Dorfes mehr statt, dafür haben die großen Lebensmittelketten im Nachbarort gesorgt.
    Ich hätte nie gedacht, dass diese von der Bevölkerung ins Leben gerufenen Tauschringe so eine Entwicklung aufhalten können, aber jetzt erkenne ich die Vorteile und würde dafür inzwischen sogar die nervige Bürokratie dafür in Kauf nehmen.
    Schließlich treffe ich auf einem Parkplatz im Ort zehn interessierte Leute vom Tauschring zu einem Tauschversuch. Ich zeige ihnen den Kickertisch und die Handwaschmaschine. Im Gegenzug bieten sie mir einen tragbaren Pizzaofen, Volksmusikplatten, einen Talent-Gutschein und einige lokale Produkte
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