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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch
Autoren: Michael Wigge
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Ausfahrt und knattere über Straßen und Äcker. Mittlerweile ist der Kleine mir so ans Herz gewachsen, dass ich ihn liebevoll Hermann getauft habe.
    An einem Steilhang hinunter zur Loreley am Rhein beobachte ich aus der Ferne überraschte Anwohner, die uns zuwinken. Ich finde nicht heraus, ob sie sich über den Anblick von Hermann freuen oder einfach genervt sind vonLärm und Abgasen. In Sankt Goar fahre ich mit dem durstigen, laut dröhnenden Hermann an eine Tankstelle und betanke den wunderbaren Fünfganggetriebe-Mäher – der außerdem auch über einen Rückwärtsgang verfügt! – unter den Augen des verdutzten Tankstellenbetreibers. Kurze Zeit später scheint sich meine Anwesenheit im Ort herumgesprochen zu haben, denn der Küster der benachbarten Kirche kommt mir entgegen, um sich zu erkundigen, was das solle, auf einem Rasenmäher durch den Ort zu fahren. Ich erzähle ihm, was mich umtreibt und dass Hermann nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu einem Haus auf Hawaii sei. Der Küster scheint für derart weltliche Anliegen kein Verständnis zu haben und beeilt sich, seine Kamera zu holen, um Beweisfotos von dem unerhörten Vorgang zu machen.
    Kurz darauf setze ich mit Hermann auf der Fähre zur anderen Rheinseite über. Der Kapitän erzählt mir, dass das der erste Rasenmähertraktor sei, den er während seiner langen Laufbahn als Kapitän auf der Rheinfähre befördert habe. Dabei, so erzählt er mir, habe er schon vielen ungewöhnlichen Dingen über den Rhein geholfen, zum Beispiel einem Elefanten samt Zirkus. Wir philosophieren noch eine Weile über die Bedeutung seiner Fähre für den Austausch von Waren, der jedoch in Gefahr sei, wie der Kapitän berichtet, da in lokalen Amtsstuben Pläne für den Bau einer Loreleybrücke lägen. Dann wäre Schluss mit dem Fährbetrieb. Eine Entwicklung, bei der die Verschandelung der Landschaft zugunsten eines schnelleren Warenverkehrs in Kauf genommen würde. »Kein sehr überzeugender Tausch«, meint der Kapitän schließlich.
    Hermann und ich fahren weiter durch die Weinberge Frankens, und es ist, als beleuchte die Frühlingssonne zumersten Mal in diesem Jahr die ganze Schönheit dieser Romantik-Landschaft. Ich kann es nicht lassen, Hermanns Off-Road-Qualitäten zu testen, und bin überrascht, wie lässig er die dreißig Prozent Steigung in den matschigen Weinbergen bewältigt. Ich komme mit Herrn Lehmann ins Gespräch, der hier ein Weingut besitzt und wissen möchte, was für einen Lärm ich in seinem Weinberg veranstalte. Ich fasse die Gelegenheit zu einem kleinen Tauschgeschäft beim Schopf. Aber wahrscheinlich hat er sich doch zu sehr über mich und Hermann geärgert. Jedenfalls lehnt er es ab, Hermann gegen ein Fass Wein zu tauschen. Dabei murmelt er, dass die Vorjahresernte schlecht ausgefallen und deshalb die Weinkeller leer seien. Erstaunlicherweise bin ich fast erleichtert über seine Reaktion, Hermann ist mir mittlerweile offenbar sehr ans Herz gewachsen.
    Am nächsten Tag rolle ich Hermann im historischen Rothenburg ob der Tauber aus dem Transporter. Alte Stadtmauern, hohe Wachtürme und mittelalterliche Häuser bestimmen das Stadtbild. Um neun Uhr morgens knattert Hermann zur Verwunderung der Touristen durch die Altstadt und fährt durch eine offenstehende Tür in ein Damenbekleidungsgeschäft, bis er vor einer Auswahl von Röcken stehen bleibt. Es dauert einige Zeit, die sichtlich pikierte Verkäuferin davon zu überzeugen, dass es sich nicht um einen Überfall oder einen Amoklauf handelt. Ich erzähle auch ihr von meinem Traum, ein Haus auf Hawaii zu besitzen, und davon, dass sie mit einem großzügigen Kleidungstausch dazu beitragen könne, meinen Wunsch wahr werden zu lassen. Trotz meines flehenden Augenaufschlags lehnt sie das kategorisch ab, da sie sich keine gemeinsame Zukunft mit Hermann vorstellen kann, und bittet mich, sofort den Rückwärtsgang einzulegen.
    Mehr und mehr habe ich das Gefühl, dass Hermann allmählich unser gemeinsames Handeln bestimmt, denn kurz darauf fährt er mit eingeschalteten, höhenverstellbaren Scheren über ein Tulpenbeet vor einem Gebrauchtwagenhandel. Der Anblick der abgemähten Tulpen ist herzzerreißend, ich bin zutiefst betroffen und rechtfertige mich dem Ladenbesitzer gegenüber damit, dass ich Hermanns Verhalten auch nicht gutheißen kann.
    Nachmittags machen Hermann und ich einen kleinen Zwischenstopp in der Nähe von Ravensburg, als ich an einem Haus vorbeikomme, in dem eine Hellseherin ihre Dienste anbietet.
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