Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
gefallen, zu
jeder Jahreszeit unterwegs zu sein, ziellos, dem Wetter ausgeliefert.
Hauptsache, nicht zu Hause bei Henny hocken. Man müsse mal eine
längere Tour planen, nicht immer bloß Runden drehen.Als
Liv ihn fragt, ob er die Firma sehr vermisse, winkt er ab, aber seine
Geste hat etwas Trotziges, und sie ist wieder kurz davor, ihn
einzuladen, die Herrenwyk-Sprengung mit ihr gemeinsam vorzubereiten.
Doch sie hält den Mund. Er könnte es falsch verstehen, als
Almosen.
    Sie legen eine Pause ein.Aus dem Fahrradkorb fördert Tönges
Proviant zutage: eine Thermoskanne und ein Paket Haferkekse, verstaut
in einem Leinenbeutel der Stadtbibliothek. Er gießt für
sie ein und reicht Liv den dampfenden Becher. Kaffee.
    Â»Bist du durch mit deiner Teephase?«, fragt sie mit
hochgezogenen Brauen.
    Er nickt. Sie setzen sich jeder auf einen Findling am Flussufer,
ein paar Meter voneinander entfernt. Es hat wieder angefangen zu
nieseln. Tönges müht sich mit der Keksverpackung,
schließlich gebraucht er sein Taschenmesser, um die
Plastikfolie zu entfernen. Er trägt es immer bei sich, ein
Laguiole-Hirtenmesser aus Frankreich, ein Schmuckstück.
Damaststahl. Als sie jung war, hat Liv eine Weile darauf spekuliert,
dass er es ihr irgendwann schenken würde, seiner Nachfolgerin,
dem einzigen seiner Enkelkinder, mit dem er je etwas hatte anfangen
können. Doch Schenken war nie sein Metier.
    Â»Bist du immer noch hinter dem Messer her?«, fragt
Tönges, der ihren Blick bemerkt hat.
    Schulterzucken.
    Â»Weißt du was? Du kannst es haben. Du solltest es
ohnehin irgendwann bekommen. Warum nicht heute?«
    Er will ihr das Messer reichen, aber Liv protestiert. Sicher will
sie es haben, aber nicht so nebenbei, mit den Augen erbettelt wie ein
Hund einen Bissen Fleisch vom Tisch. DerAugenblick sollte etwas
Feierliches haben.
    Â»Nun nimm schon.«
    Â»Du brauchst es doch selbst.«
    Â»Ich hab noch ein anderes. Nimm.«
    Sie gehorcht widerwillig, wissend, dass er nicht nachgeben wird.
»Danke.«
    Â»Gern geschehen. Ich hatte mal eine Schwester, die hat es
mir geschenkt. Sie hat auch so gern gesungen wie du«, sagt
Tönges unvermittelt und steckt sich einen Haferkeks in den Mund,
bevor er ihr die geöffnete Packung hinhält.
    Â»Eine Schwester?«, fragt Liv, formt das Wort extra
deutlich, überzeugt, sich verhört zu haben. Sie hat Tönges
stets für ein Einzelkind gehalten. Von Geschwistern war nie die
Rede.
    Â»Ja.«
    Er wedelt einladend mit der Packung, obgleich er doch sehen
müsste, dass sie für einen Keks keine Hand frei hat, links
den Kaffee, rechts das Messer. Sie betrachtet das Markenzeichen auf
dem Laguiole, eine geschmiedete Jakobsmuschel, streicht mit dem
Daumen über das glatte Buchsbaumholz des Griffs und hat keinen
Schimmer, was sie sagen soll. Das Geschenk einer Schwester. Typisch
für Tönges, die Bedeutung einer derartigen Mitteilung durch
Beiläufigkeit zu verschleiern. Falls sie überhaupt
Bedeutung für ihn hat.
    Â»Du hast nie von ihr gesprochen.«
    Keine Antwort, er kaut. Das Gebäck kracht zwischen seinen
Zähnen. Liv nippt am Kaffee und reicht den Becher anschließend
ihm, da sie nur den einen haben.
    Â»Was wurde aus ihr?«
    Tönges zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck. »Ist
lange her«, sagt er dann, als wäre das eine Antwort.
Nachfrage zwecklos, Liv kennt ihn gut genug, um das zu akzeptieren,
auch wenn sie liebend gern mehr erfahren würde über eine
Schwester des Großvaters, die gern gesungen hat. Es kommt
selten genug vor, dass sie Gemeinsamkeiten zwischen sich und einem
Mitglied der Familie Engel feststellt. Abgesehen von Tönges ist
ihr die eigene Verwandtschaft fremd, und der Gedanke an eine
potenzielle Verbündete gefällt ihr. Was natürlich
lächerlich ist.Als ob eine einzige geteilte Vorliebe sie zu
Freundinnen gemacht hätte.
    Â»Verfluchter Regen«, sagt Tönges und bietet ihr
noch einmal Kaffee an.Als sie ablehnt, steht er auf und spült
den Becher in der Trave aus, den Blick starr auf die trüben
Fluten gerichtet.
    Â»Was gibt’s da zu sehen?«
    Â»Eine Haifischflosse, wenn mich nicht alles täuscht.«
»In der Trave?«
    Â»In der Ostsee gibt es Heringshaie.«
    Â»Hier doch nicht.« Liv schaut auf den Fluss. Die
Oberfläche ist schiefergrau und wellig, einige harmlose Strudel
kreisen in Ufernähe. Sie kann beim besten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher