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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger
Autoren: Alexandra Kui
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und so sollte es bleiben. Mein Durst ist unstillbar seit
diesem Tag.
    Plötzlich ging etwas in euch vor. Das Erstaunen wich einem
Ausdruck von Entschlossenheit. Ihr wart euch so einig, immer
schon,die Eintracht hat mich maßlos provoziert. Ihr habt euch
gestrafft, eure Blicke trafen einander. Mich hingegen habt ihr nicht
länger angeschaut, nicht anschauen können, weil es euch auf
diese Weise leichterfiel, euch wortlos jeder einen Ziegelstein zu
greifen und auf mein Gesicht zu legen, und zwar vorsichtig, geradezu
sanft, auch mit den nächsten Ziegeln noch. Du hast geweint,
genau wie jetzt, wie jedes Mal, wenn du dich daran erinnerst.
    Ich hätte nicht fluchen sollen.Als ich anfing zu fluchen,
änderte sich euer Verhalten. Nun hattet ihr es eilig, mich mit
Schutt zu bewerfen, mich zu knebeln mit Scherben und Putz. Es wurde
wieder dunkel. Das Letzte, was ich spürte, bevor ich ohnmächtig
wurde, war, wie meine Nase brach.
    Lebendig begraben. Ich erwachte etliche Male, mein Sterben zog
sich hin, eine furchtbare Prozedur.Anfangs hatte ich Hoffnung, es
würde rechtzeitig Hilfe eintreffen, mich zu retten, und ich
malte mir aus, wie ich euch verprügeln würde. Auf Schläge
würdet ihr gefasst sein, aber nicht auf solche. Ich hatte seit
jeher das Bedürfnis, die schlechten Erwartungen, die an mich
gerichtet wurden, zu übertreffen.
    Je schwächer ich wurde, desto mehr wuchs mein Kummer um mich
selbst, und ich fragte mich, warum ihr zu einer solchen Tat fähig
wart, beide keine vierzehn Jahre alt. Dabei war die Antwort so
einfach: Ihr seid ja meine Kinder.
    Lebendig begraben. Nach und nach verloren die Worte ihren
Schrecken, um sich schließlich in ein großes Versprechen
zu verwandeln. Sie machten mich unsterblich. Ich begriff, wer
lebendig begraben wird, ist niemals tot, er existiert weiter bis ans
Ende der Zeit. Mein Hass würde nicht verglühen, er hatte
erst begonnen, seine Kraft zu entfalten über Generationen
hinweg.
    So fand ich Frieden. Für Reue und Tränen ist es jetzt zu
spät. Mir geht es gut, solange du weiter zuhörst. Und lass
die Fenster auf Durchzug.Auch im Winter. Ich brauche viel Luft. Und
das Licht, das Radio, lass beides an.Dunkelheit und Stille sind eine
Qual für mich, wer will mir das verdenken? Wer? Niemand? Gut so.
Wer tot ist, stößt selten auf Widerspruch.
    Â 

Enkel
    Es war keine Absicht. Das ist Liv klar, ändert jedoch nichts
daran, dass sie hier raus muss, und zwar sofort. Die leere Halle ist
zu eng für sie und das Grinsen des Holländers, den sein
Missgeschick zu amüsieren scheint.Als ob es ein Witz wäre,
die Verstärker kurzzuschließen und sie beide der Gefahr
eines Stromschlags auszusetzen, ganz zu schweigen vom möglichen
Schaden an der teuren Anlage.
    Â»Ich wusste nicht, dass auf der Leitung schon Saft ist«,
sagt er und kann oder will nicht aufhören zu grinsen. Er scheint
nicht zu begreifen, wie viel Beherrschung es Liv kostet, sich
abzuwenden und ihn stehen zu lassen, die Hände in den
Jackentaschen zu Fäusten geballt. Sonst würde er ihr nicht
noch hinter herrufen: »Hey, Engel, bleib doch mal stehen!«
    Idiot.Alles Idioten um sie herum. Machen ihr das Leben schwer und
lachen sich eins. Unwillkürlich hält Livden Atem an. Der
Weg nach draußen kommt ihr unerträglich lang vor, zumal
nirgendwo etwas herumliegt, wogegen man jetzt treten könnte.
Stattdessen blanker Fabrikboden, das Hallen ihrer Schritte und im
Hintergrund verhaltenes Gelächter. Erst als sie den Ausgang
erreicht und ein feuchtkalter Luftzug ihre Wangen kühlt,
schnappt sie nach Sauerstoff, aufrichtig bemüht, sich zu
beruhigen.
    Im Gewölk des Atlantiktiefs, das seit Wochen über dem
Norden festhängt, sucht sie vergeblich nach einem Streifen
Himmelblau. Wenigstens regnet es nicht mehr. Kaum hat sich ihr Atem
normalisiert, denkt Liv wieder an den Holländer, an seinen Hang
zur Nachlässigkeit, und verspürt Lust, die Reifen an seinem
museumsreifen Ford Taunus zu zerstechen. Sie sollte ein paar Schritte
gehen. Vielleicht auch viele Schritte.
    Sie zieht die Kapuze auf und stapft los, Blick nach unten, um mit
ihren ausgetretenen Chucks nicht in eine der Pfützen zu treten.
Es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich auf dem Fabrikgelände
nasse Füße holt. Ein kräftiger Schauer, und der ganze
Vorhof steht unter Wasser, dann geht ohne Gummistiefel gar nichts
mehr.
    Ihren
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