Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
Willen keine Flosse
entdecken und unterstellt ein Ablenkungsmanöver seinerseits, aus
Angst, Liv könnte doch noch Fragen zu dieser Schwester stellen.
Hat sie nicht vor. Sie legt den Kopf in den Nacken und blinzelt in
den feinen Staub aus Wassertröpfchen. Wie unbezwingbar Wasser
doch ist im Vergleich zu Beton. Haifisch müsste man sein.
    Â»Da ist nichts.«
    Â»Dann sehe ich wohl Gespenster«, sagt Tönges und
verstaut Kekse und Thermoskanne wieder im Leinenbeutel.
    Als sie sich verabschieden, ignoriert sie das Bedürfnis, ihn
zum Konzert einzuladen, und hat dann für den Rest des
Nachmittags das Gefühl, eine Gelegenheit verpasst zu haben.
    Der Enkel ist verändert. Fritzi sieht es auf den ersten
Blick. Wie er die Tür seines Geländewagens zuschlägt,
wie er sich hält, sein Gang – nichts stimmt mehr,wo vorher
alles gestimmt hat. Er bemerkt, dass sie in der Tür steht,
winkt, ein Winken wie zum Abschied, obwohl er eben erst angekommen
ist.
    Zur Begrüßung ein flüchtiger Kuss auf die Wange,
dafür muss er sich tief zu ihr herunterbeugen,und eine gut
gemeinte Ermahnung: »Warum bleibst du denn nicht drinnen, Amma
mín? Du holst dir den Tod bei der Kälte.«
    Als ob sie nicht wüsste, wann sie friert, nur weil sie alt
ist. Sie hat schon lange nicht mehr gefroren. »Das bisschen
Frost«,sagt sie mit der Verachtung einer Frau, die dem Winter
unzählige Male die Stirn geboten hat, und zwar unter weitaus
härteren Bedingungen, als sie im Eingang ihres zentral geheizten
Hauses vorzufinden sind.
    In der Küche verblasst die Veränderung. Während sie
Kaffee einschenkt und sich mit der Verpackung des Hafergebäcks
aus dem Supermarkt abmüht, betrachtet sie den Enkel genau und
entdeckt nichts an ihm außer Unbekümmertheit und Kraft.
EinenAugenblick erliegt sie der Illusion, sich geirrt zu haben. Bis
ihr bewusst wird, dass in einem makellos blauen Himmel die Sonne im
Zenit gestanden hat, als sie ihn aus dem Auto steigen sah. Und es ist
warm gewesen. Viel wärmer als an diesem grauen Tag im Februar.
Ein Schwarm Seeschwalben flog landeinwärts über das
Lavafeld. Sie erreichen die isländische Küste im Mai,
frühestens im April. Was mit ihm geschehen ist, passiert erst
noch, steht bevor und ist doch in einer anderen Wirklichkeit bereits
vollzogen.
    Ihre Freundin Bjarney, die sich darauf versteht, mit Elfen zu
plaudern, hat es ihr erklärt: Es gibt keine Zukunft, keine
Vergangenheit, nur das Jetzt.Alles geschieht gleichzeitig.Alles ist
Gegenwart.
    Â»Hast du nichts Selbstgebackenes?« Der Enkel nimmt
einen Haferkeks aus der Packung und taucht ihn in den dampfenden
Kaffee.
    Â»Nein, zum Backen bin ich nicht gekommen.«
    Alles ist Gegenwart. Ganz begreift Fritzi nicht, was Bjarney damit
meint. Vielleicht versucht sie deshalb, das Unabwendbare zu
verhindern. Denn sie spürt, es ist ihre Schuld, wie es gekommen
ist. Kommen wird. Sie hat den Enkel um einen Gefallen gebeten, einen
großen Gefallen, zum ersten Mal überhaupt. Obschon er
Bedenken vortrug, die gut begründet waren, hat er ihr den Wunsch
nicht abschlagen können.
    Â»Die Reise, von der ich neulich gesprochen habe ...«
    Er lässt sie nicht ausreden. »Gleich nach Ostern geht
es los, wie versprochen. Tut mir leid, früher schaffe ich es
nicht. Zu viel zu tun.«
    Â»Ich habe es mir anders überlegt. Es wäre mir
lieber, wenn du nicht fliegst. Ich habe mich geirrt.Ich will es
nicht. Es ist zu spät.« Sie trinkt mit zittriger Hand. Der
Kaffee ist ihr etwas zu dünn geraten.
    Â»Es ist nie zu spät.« Er sagt es leichthin, ohne
nachzudenken. In seinem Alter müsste er eigentlich wissen, wie
oft es im Leben für irgendetwas zu spät ist.
    Â»Doch.«
    Er fängt ihren Blick ein und hält ihn mit seinen
schwarzen Augen fest. »Amma, du hast bloß Angst. Warst du
nicht diejenige, die mir beigebracht hat, Entscheidungen niemals aus
Angst zu treffen? Mach dir keine Sorgen. Es ist nicht zu spät.
Du tust das Richtige, und ich helfe dir dabei. Nach Ostern fliege
ich.«
    Er lenkt ab,redet über das Wetter, das in diesem Land immer
ein abendfüllendes Thema ist. Die vielen Schneestürme seit
Weihnachten, dazwischen kurze Perioden mit Regen und frühlingshaften
Temperaturen.Und über seinen Beruf redet er. Detail verliebt.
Heute bereitet es Fritzi Mühe, zuzuhören, so wie ihm das
Reden mehr Mühe als sonst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher