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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben
Autoren: Sandra Maischenberger
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erhöht sich in dem Moment, wenn viele ältere Menschen zusammenleben.
    Â 
    So ist es.
    Â 
    Ist das ein Gedanke, an den Sie sich gewöhnen mussten?
    Â 
    Meine Frau und ich wussten, dass dies so sein würde. Es leben dort über sechshundert Menschen, und bei den erwähnten Gedenkgottesdiensten wurde in letzter Zeit immer an rund sechzig Verstorbene gedacht.
    Â 
    Bezieht man die Namen auf sich? Überlegt man, irgendwann wird einmal mein eigener Name verlesen?

    Â 
    Ja, sicher. Es ist nicht so, dass wir stündlich darüber nachdenken. Bewusst ist uns das aber schon.
    Â 
    Man kann im Augustinum nur in eine Wohnung ziehen, wenn der Vormieter gestorben ist. Das ist eine Besonderheit ...
    Â 
    Es gibt exzeptionelle Fälle, in denen ein Bewohner tatsächlich wieder ausgezogen ist, aus welchen Gründen auch immer. Aber der Normalfall ist, dass die Wohnung nach dem Tode des Vormieters neu hergerichtet wird und dann der Nächste einzieht.
    Â 
    Die Scheu, in ein solches Haus zu gehen, hat sicher etwas mit Verdrängung zu tun. Viele sagen sich: »Das genau ist der Schritt, der mich zum Letzten führt, und das möchte ich möglichst lange von mir fernhalten.«
    Â 
    Es stimmt. Für viele Menschen ist eine solche Konfrontation nicht einfach und bedarf wiederholter Anstöße zum Nachdenken und Überlegen. Aber ich kann nur sagen: Alle Menschen sind gut beraten, wenn sie diese Entscheidung rechtzeitig und für sich selbst treffen. Es ist Flucht, wenn man es anderen oder dem Zufall überlässt. Man hat auch eine Verantwortung sich selbst gegenüber.
    Â 
    Zwei Namen möchte ich in diesem Zusammenhang zur Sprache bringen, weil sie vielleicht etwas darüber sagen, wie gesellschaftlich mit diesem Thema umgegangen wird. Der eine Name ist Gunter Sachs, er verübte im Mai 2011 Selbstmord – aus Angst, eine Krankheit wie Alzheimer zu bekommen, obwohl er offensichtlich noch keine offizielle Diagnose hatte. Viele haben dieser Tat gegenüber Respekt bekundet, meinten, Sachs hätte sich diesen Schritt wohl überlegt und damit seine Würde behalten. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie davon hörten?
    Â 
    Ich will eine kühne Frage aufwerfen: Zerstören denn alle Menschen, die unter Alzheimer leiden und sich nicht selbst umbringen, ihre eigene Würde? Es mag im Sterben Situationen geben, bei denen die Palliativmedizin nicht mehr hilft und es deshalb sinnvoll erscheint, diesen Prozess zu verkürzen. Das würde ich aber nicht Selbstmord nennen – eine solche Verkürzung des Sterbeprozesses sieht ja auch die Patientenverfügung als Möglichkeit
vor. Bestimmungen können ebenso für unheilbare Zustände, etwa für bestimmte Koma-Fälle, getroffen werden. Ob der Mensch allerdings über sein eigenes Leben frei verfügen sollte, nach seiner Einschätzung und nach seiner Willkür, da mache ich ein Fragezeichen. Keineswegs will ich mich über Menschen erheben, die in ihrer Verzweiflung so handeln – ich selbst habe Fälle dieser Art erlebt. Aber ich habe Probleme damit, generell zu sagen, dass man jederzeit über das eigene Leben nach Gutdünken verfügen kann.
    Â 
    Worüber denn sonst? Das ist letztlich die einzige Macht, die man dann noch hätte, nämlich das eigene Leben so zu beenden, wie man es sich vorstellt: Das ist doch etwas, was man eigentlich niemandem absprechen kann, oder?
    Â 
    Ich habe von einer generellen Meinung gesprochen. Natürlich kann jeder sein Leben beenden, wann immer er will, selbst wenn er kerngesund ist oder gerade Ärger gehabt hat. Das ist ja nicht strafbar. Aber nach meiner Einschätzung ist der Mensch auch in dieser Beziehung nicht die allerletzte Instanz. Weiterhin bitte ich zu bedenken, dass ein Selbstmord nicht nur den Betreffenden angeht, sondern ebenso seine Umgebung, seine Familie sehr berühren kann. Deshalb habe ich Bedenken dagegen, die Selbsttötung als etwas Alltägliches, ja als etwas Normales zu betrachten.
    Â 
    Neben Gunter Sachs möchte ich das Ehepaar von Brauchitsch erwähnen. Der frühere Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch und seine Frau Helga sind 2010 nach Zürich gegangen, weil es dort eine Sterbehilfeorganisation gab – mit Namen Exit –, die ihnen in einer Situation helfen konnte, die ihnen ausweglos erschienen war. In der Todesanzeige stand, sie hätten mit großer Geduld und Disziplin ihre schweren
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