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Wie wir gut zusammen leben

Wie wir gut zusammen leben

Titel: Wie wir gut zusammen leben
Autoren: Juergen Manemann
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Sentimentalität und Zynismus – das sind nicht zwei unterschiedliche Modi, sondern jeweils zwei Seiten einer Medaille.
    Sicherlich, die ökonomische Dimension ist alles andere als ein gesellschaftliches Randphänomen, aber sie ist nicht das einzige und vielleicht auch nicht das dringendste Problem, unter dem Menschen, vor allem junge Menschen, gegenwärtig leiden. Die Kraft zum Zupacken haben nur diejenigen, die in der Lage sind, ihr Leben zu gestalten. Denjenigen, die durchaus in Arbeit stehen, sich aber dennoch unfähig fühlen, ihr Leben zu leben, ist damit nicht geholfen. Es reicht deshalb nicht aus, sich auf Produktion und Konsum zu berufen. Die Politik liefert sich damit lediglich der Ökonomie aus. Statt eine florierende Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen als höchste Ziele auszugeben, hätte Politik sich mehr auf die öffentliche Kommunikation über die tiefen Anliegen der Menschen und die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger zu besinnen. Diese Aufgabe könnte auch die sich in unserer Gesellschaft ausbreitende »demokratische Melancholie« (Pascal Bruckner) durchbrechen helfen.
    Angesichts der Ermüdungs- und Lähmungserscheinungen in der Gesellschaft wäre Politik als Anerkennungspolitik auszuarbeiten. Diese zielt nicht nur auf soziale Gerechtigkeit. Es geht heute nämlich nicht nur um einen Mangel an Haben. Dringlicher scheint das Problem eines Mangels an Sein zu sein: an Anerkanntsein. Zum Leben benötigt der Mensch nicht nur Güter, die er zum Überleben braucht, sondern auch Möglichkeiten, Grundfähigkeiten zu erwerben, um ein gutes, ein sinnvolles Lebenführen zu können. Ein sinnvolles Leben ist ein Leben, in dem man sich aktiv mit Aufgaben beschäftigt, die auch für andere Menschen von Bedeutung sind. Dadurch erfährt der Mensch Anerkennung. Wer Anerkennung erfährt, dem wird eine Ahnung zuteil, was ein sinnerfülltes Leben ist.
    Sinn – im emphatischen Verständnis – ist nicht etwas, was der Einzelne für sich allein finden kann. Sinnvoll ist nur etwas, das auch für andere sinnvoll ist. Das heißt nicht, dass nur etwas sinnvoll sein kann, das alle anderen auch als sinnvoll erachten. Sinn ist keine Frage, über die die Majorität abstimmt. Nichtsdestotrotz kann sinnvoll nur sein, was nicht nur für mich, sondern auch für andere von Bedeutung ist. Sinn setzt deshalb eine soziale Teilhabe voraus. Soziale Teilhabe ist aber nicht ein Nebeneinander-Herleben. Soziale Teilhabe basiert auf bestimmten Grundfähigkeiten und setzt bestimmte Grundverständnisse voraus: Wir müssen eine gemeinsame Sprache sprechen. Wir müssen in der Lage sein, den anderen verstehen zu können. Das heißt, wir müssen mit ihm Bedeutungshorizonte teilen. Wir müssen mitfühlen können. Wir müssen in der Lage sein, uns einfühlen zu können … Kurzum: Es bedarf einer Kultur des Zusammenlebens.
    Schaut man in die Reden der Politiker oder in die Programme der Parteien, so wird Kultur zwar immer wieder zitiert, sie bleibt dennoch meist nur ein Anhängsel der Politik oder verschmilzt mit dem Begriff der Nation. Dabei sind Kulturen unsere Wohnstätten. Sie überzeugen uns davon, dass das eigene Leben und das des Anderendes Lebens wert sind. Kulturen sind zwar Menschenwerke, die uns Werkzeuge zur Verfügung stellen, mit denen wir lernen, zusammenzuleben. Aber wir haben sie nicht hergestellt, wie wir anderes um uns herum herstellen. Kulturen sind nicht von uns erfunden worden. Deshalb sind Kulturen auch nicht etwas, das wir beliebig manipulieren können. Wir sind Teil der Kultur. Verändert sich die Kultur, so verändern wir uns. Kommen uns Kulturen abhanden, so kommen wir uns selbst abhanden. Kulturen verändern unsere Gesellschaft. Diese Kraft zu Veränderung steckt in Kulturen, weil diese immer mehr enthalten, als wir sind.
    Es reicht deshalb auch nicht aus, wie etwa DIE GRÜNEN meinen, den künftigen Generationen eine ökologische und soziale Umwelt zu hinterlassen. Gerade junge Menschen und die künftigen Generationen benötigen auch kulturelle und religiöse Umwelten. Wir verhalten uns parasitär, wenn wir unsere Angewiesenheit auf diese Traditionen nicht erkennen. Und nicht nur das. Es sind die komplexen, vielfach gebrochenen kulturellen und religiösen Traditionen, die unsere Welt immer wieder neu mit nichthergestelltem Möglichkeitssinn aufladen.
    Die Notwendigkeit kultureller Arbeit wird durch ein Gespräch angezeigt, das Die Zeit mit einer der wichtigsten Anführerinnen der Studentenproteste in
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