Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie viel kann eine Frau ertragen

Wie viel kann eine Frau ertragen

Titel: Wie viel kann eine Frau ertragen
Autoren: Anni Schwarz
Vom Netzwerk:
mich, es war so schön. Mit viel Liebe und Vorsicht hat sie mir zwei lange Zöpfe geflochten. Dass sie mit meinem Schwager da war, war einfach wunderschön. Solche Momente gab es in meinem Leben nicht so oft.
     
    Unser neues Haus war nicht so groß wie das vorherige. Wir hatten nur ein Kinderzimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche und einen Flur, da haben wir gegessen. Und auch eine Sommerküche, wo wir in warmen Jahreszeiten gekocht und unsere Mahlzeiten zu uns genommen haben. Das ganze Leben in dieser Zeit spielte sich in unserer Sommerküche ab. Zweimal die Woche musste ich diese Küche wischen, einmal Mittwoch und einmal Sonnabend. Im Haus blieb dann alles sauber, wir gingen nur zum Schlafen hinein.
     

Ich als Außenseiterin
     
     
    Meine Brüder und ich mussten die Schule wechseln, ich ging in die dritte Klasse. Die Entfernung zwischen der Schule und unserem Haus betrug etwa drei Kilometer. Zur Schule gingen wir immer zu Fuß.
    In der Schule kam ich gut mit, den Stoff, der uns vermittelt wurde, habe ich sehr schnell begriffen. Im Sport war ich auch sehr gut, weil ich sehr schnell laufen konnte. In meiner Klasse war ich eine von den Besten. Und so kam es dazu, dass ich an den Schulmeisterschaften teilnehmen sollte. Diese Meisterschaften fanden an einem Sonnabend um 8:00 Uhr morgens statt. Ich erzählte es meiner neuen Mutter zu Hause. Sie aber meinte, dass diese Meisterschaft nicht so früh stattfinden würde. Sie wollte nicht so früh aufstehen. Als wir dann irgendwann um 9:30 Uhr oder 10:00 Uhr auf dem Schulgelände waren, war die ganze Veranstaltung vorbei. Es war mir so peinlich, dass ich an diesem Tag nicht pünktlich war. Am nächsten Schultag haben andere Kinder über mich gelacht. Und irgendwann war ich auch Außenseiter in der Klasse.
    Auch deswegen, weil ich sehr oft schmutzige Klamotten und die Haare nicht ordentlich hatte. Mit neun, zehn Jahren ist ein Kind nicht so weit, dass es weiß, wann es seine Kleider wechseln soll, wenn eine Mutter, in meinem Fall meine Stiefmutter, es ihm nicht sagt. Gerade weil in Russland die Kleidung ganz anders gewaschen wurde als hier in Deutschland.
     
    Keiner wollte mit mir spielen, kein Kind durfte auch zu uns nach Hause. Meine Eltern hatten es verboten, weil wir Teppiche auf dem Fußboden liegen hatten. Wenn ich bei jemand ins Haus reingehen durfte, war es für mich wie „Neuland“. Meine Eltern hatten mir auch verboten, bei anderen reinzugehen. Ich war ab und zu bei unseren Nachbarn. Es war eine sehr große, kinderreiche Familie, sie hatten auch Mädchen in meinem Alter. Eine war zehn Monate älter und die andere acht Monate jünger. Unsere Nachbarn waren Christen, und in dieser Familie habe ich das erste Mal gesehen, dass man die Kinder mit viel Liebe erziehen kann. Es wurde da nicht geschimpft, geschrien, geschlagen. Es gab doch Familien, wo Kinder nicht mit Gewalt aufwachsen mussten, so wie wir. Wie habe ich diese Mädchen beneidet, aber ich war nicht ein Teil dieser Familie.
    Einmal haben wir bei dieser christlichen Familie Heiligabend mit vielen anderen Kindern gefeiert. Es gab einen sehr schön geschmückten, bunten Tannenbaum mit Lichtern. Erst kam eine weihnachtliche Predigt, danach Gesang. Fast jedes dieser Kinder ist dann zum Tannenbaum gegangen und hat ein Gedicht vorgetragen oder ein Lied gesungen. Nach diesem Kindergottesdienst wurden Weihnachtstüten verteilt. Alle Kinder bekamen gleiche Tüten mit guten Bonbons, mit viel Schokolade. Nur mein Bruder und ich hatten wieder mal etwas andere Geschenke. Diese Tüten mit Bonbons hat meine Stiefmutter zu Hause vorbereitet. Als ich andere, viel bessere Weihnachtstüten gesehen habe, fing ich an zu weinen. Mit meinen fast zehn Jahren wollte ich unbedingt die andere Tüte. Und wieder war da dieses Gefühl, ich bin ein Außenseiter.
    Ich glaube, wenn ich diese Tüte zu Hause bekommen hätte, wäre alles halb so schlimm. Ich hätte nicht gesehen, dass andere Kinder besser waren als ich.
     
     
     

Wie viel wert war ich?
     
     
    Meine Stiefmutter war wieder schwanger, sie hatte vor der Entbindung fleißig Stoffwindeln, Deckchen, Bettwäsche für ihr Kind genäht. Sie freute sich sehr auf dieses kleine Lebewesen und ich auch. Aber dass dieses Kind mir noch manchen Schmerz bereiten würde, habe ich damals nicht gedacht.
    Im Oktober 1971 hat sie dann ein Mädchen zur Welt gebracht, sie bekam den Namen Sonja. Als sie mit der Kleinen nach Hause kam, war es vorbei mit meiner Freizeit.
    Damals war ich elf Jahre jung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher