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Wie Samt auf meiner Haut

Wie Samt auf meiner Haut

Titel: Wie Samt auf meiner Haut
Autoren: Kat Martin
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jene, die
es wünschten. Jason wartete geduldig, bis die Reihe an ihn kam, ohne einen
Blick nach rechts oder links zu werfen. Der johlende Pöbel schien für ihn nicht
zu existieren. Nur mit Mühe konnte sie sich zurückhalten, zu ihm hinzustürzen
und ihn ein letztes Mal zu berühren, doch wußte sie, daß er es nicht wollte,
und daran hielt sie sich.
    Sie suchte
die Menge nach Lucien ab, da sie sicher war, daß er irgendwo stand, konnte ihn
aber nirgends entdecken. Vielleicht war es besser so, da er ihre Anwesenheit
auf gar keinen Fall billigen würde.
    Ihr Blick
wanderte wieder zu Jason, dem sie etwas von ihrer Kraft zu vermitteln
versuchte, und es brach ihr das Herz, weil sie es nicht geschafft hatte, ihn zu
retten. Da nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung in der Reihe der Kutschen
wahr, die ein Stück weiter an der Straße standen. Velvet erspähte das Wappen
der Carlyles, groß und golden am Wagenschlag der herzoglichen Karosse.
Gelächter war zu hören, Averys Lachen und jenes der aufgedonnerten Flittchen,
die ihn zur Hinrichtung begleiteten.
    Der
Jähzorn, der sie überkam, war so heftig, daß sie ihn im Mund zu schmecken meinte.
Er brachte ihr Blut in Wallung, vertrieb die wattegleiche Benommenheit, und
bewirkte, daß ihr Körper zum erstenmal seit Tagen richtig zum Leben erwachte.
Avery war da. Er war gekommen, um seinen Bruder hängen zu sehen. In ihrer
blinden Wut sah sie einzig und allein den skrupellosen, verderbten Herzog, der
ihren Mann an den Galgen gebracht hatte.
    Velvet
faßte nach dem silbernen Türgriff und stieß die Tür auf, um über die schmale
eiserne Trittstufe auszusteigen.
    Der
Karren hatte am
Ende seiner langen, gewundenen Fahrt die Anhöhe erreicht. Jason nahm das
Klirren seiner schweren Eisenketten nicht wahr, registrierte kaum, als ein
Büttel die Kette seiner Fußfessel löste, die am altersschwachen Holz
festgemacht war. Seine Fußknöchel waren noch gefesselt, seine Hände ebenso.
Unter den Fesseln war seine Haut aufgeschürft und blutig. Jason beachtete die
Schmerzen nicht. Er hatte sich auf den Tod vorbereitet und war auf ihn gefaßt.
Er wünschte nur, in ihm
wäre nicht so viel Bedauern gewesen, wünschte, er hätte ein friedvolleres Ende
gefunden, doch war es schwer, friedvoll zu sein, wenn der Tod des Vaters
ungesühnt blieb und der Bruder abermals dem Henker entkommen konnte und die
Früchte von Verrat und Mord genießen würde.
    Und dann
dachte er an Velvet, immer wieder an Velvet. Sie brauchte ihn, wie er sie
brauchte. Gewiß, sie war stark, aber sie war auch unschuldig und verletzlich.
Sie brauchte einen Mann, einen Ehemann, und er war der richtige für sie.
    Das wußte
er nun mit unumstößlicher Gewißheit. Es war eine Erkenntnis, die leider zu spät
kam.
    »Rasch,
Mann. Du baumelst als nächster.«
    Aber das
Gewicht der Ketten machte es ihm schwer, sich zu beeilen, selbst wenn er
gewollt hätte. Sein Schritt blieb ruhig und so würdig, wie unter diesen
Umständen möglich. Trotzdem erreichte er das Gerüst viel zu schnell. Jason
blieb am Fuß stehen, um sich mit einem tiefen Atemzug Mut zu machen, ehe er den
Aufstieg zum Galgengerüst begann.
    Velvets Herz schlug so laut, daß es ihr wie
Donner in den Ohren dröhnte. Es tat gut, den Zorn durch die Adern fließen zu
spüren. Seit Tagen fühlte sie sich zum erstenmal wieder lebendig und atmend.
Sie lief weiter, erbittert, weil sie keine Waffe bei sich hatte, um sie auf
Avery zu richten, getrieben von wilder Wut, einem Gefühl, das sie bis in den
letzten Nerv erfüllte, da der Augenblick von Jasons Tod unaufhaltsam näher
rückte.
    Ihr Zorn
schützte sie und verlieh ihr unendliche Kraft und Mut, für Jason stark zu sein.
    Fast hatte
sie Averys edles, graues Vierergespann erreicht, das auf die lärmende, wilde
Menge mit ungehaltenem Schnauben reagierte, als eine klauenartige Hand sich um
ihren Arm legte. Der Druck knochiger Finger durchstieß den Nebel der Wut und
brachte sie widerstrebend kurz vor der Kutsche zum Stehen. In ihrem atemlosen
Haß brauchte sie einen Moment, um die Situation zu begreifen.
    »Einen
Penny für einen Blinden«, flehte der Bettler, der ihr auf dem Boden kauernd
einen Blechnapf entgegenhielt. In Lumpen gehüllt, starrte er sie mit einem
trüben Auge an. Das andere Auge wurde von einer langen, grauen Haarsträhne
verdeckt. »Gebt einem Armen eine Münze.«
    Schon
wollte sie sich umdrehen. Jasons letzter Augenblick war gekommen, Avery war in
Reichweite, und in ihr brodelte flammende
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