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Wie Samt auf meiner Haut

Wie Samt auf meiner Haut

Titel: Wie Samt auf meiner Haut
Autoren: Kat Martin
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seiner freudigen Erwartung keinen Hehl
machte.

28
    Velvet konnte es nicht fassen, daß vier
Tage, von denen ihr jeder wie eine ganze Ewigkeit erschienen war, nun
vergangen sein sollten. Nun blieben nur diese letzten Stunden, Stunden einer
Trauer, die zu tief für Tränen war, ein Tag der zerbrochenen Träume und
gebrochenen Versprechen.
    Velvet
konnte sich nicht entsinnen, wann sie zum letzten Mal ihr Wort gebrochen hatte.
Vielleicht als kleines Mädchen, wenn sie ungehorsam war, oder als sie
versprochen hatte, niemals ohne die Erlaubnis ihres Großvaters am Bach zu
spielen, ihre Finger beim Versprechen aber gekreuzt gehalten hatte, weil sie
wußte, daß sie es doch tun würde.
    Ein
feierliches Versprechen zu brechen, das sie Jason in Liebe und Respekt gegeben
hatte, um ihm einen Wunsch zu erfüllen, fiel Velvet nicht leicht, doch brachte
sie es einfach nicht fertig, ihren Mann allein zur Hinrichtung fahren zu lassen.
    Sich gegen
Gewissensbisse wappnend, machte sie sich auf die vor ihr liegende schwere
Prüfung gefaßt. Weinen würde sie nicht. Heute nicht. Sie hatte die langen,
bitteren Stunden der Nächte durchgeweint, bis sie sich innerlich leer gefühlt
hatte, ausgehöhlt und aller Gefühle bar.
    So kam es,
daß sie sich für diesen schrecklichen Tag bereit machte und das graue,
schwarzbesetzte Kleid anzog, das sie schon vor Gericht getragen hatte.
    Vor der Tür
wartete die unauffällige schwarze Kutsche Litchfields. Velvet trat aus dem
Haus, stieg ein und zog die Vorhänge zu, um sich und ihre Gefühle gegen die
Außenwelt abzuschließen. Die nächsten Stunden würde sie nur irgendwie
existieren, nur für Jason überleben, für den Mann, den sie liebte. Sie würde
nicht zulassen, daß er sie entdeckte, er sollte nicht wissen, daß sie da war
oder daß sie ihn sterben sah. Sie würde ihr Wort soweit halten, wie es ihr
möglich war.
    Doch sie
mußte zur Stelle sein, da sie fest daran glaubte, daß er ihre Anwesenheit
spüren und daraus Kraft und Mut beziehen konnte, auch wenn er sie nicht sah.
    Litchfield
würde dafür sorgen, daß Jasons sterbliche Hülle nach Hause geschafft wurde. Er
war der beste und treueste Freund, den man nur haben konnte.
    Velvet
lehnte sich zurück, fest entschlossen, an gar nichts zu denken und ihre Fassung
zu bewahren. Aber sie hatte noch nie einer Hinrichtung beigewohnt, war nicht
auf die rummelplatzähnliche Atmosphäre gefaßt, auf die Vergnügungssucht der
Menschenmassen, die zum Tyburn Hill strömten.
    Ebensowenig
wie sie auf die Abfolge prächtiger Karossen gefaßt war, in denen die feine
Gesellschaft vorfuhr, um einen amüsanten Tag zu erleben.
    Aus dem
Fenster starrend, sah sie eine lange Reihe von Karren, auf denen die
Todeskandidaten zur Richtstätte gebracht wurden, jeder Mann neben seinem
eigenen Sarg.
    »Jason ...
o Gott.«
    Sie
erkannte ihn auch aus der Ferne, da er die anderen an Größe übertraf. Aufrecht,
hocherhobenen Hauptes, die Schultern gerade, ließ er keine Schwäche erkennen.
Genauso hatte sie sich ihn vorgestellt.
    Während
sein Karren vorüberrollte, umdrängte ihn die Menge, eine buntgemischte Schar
Schaulustiger, von morbider Neugierde getrieben, vom mindersten Taschendieb
bis zu den vornehmsten Herrschaften. Wohlgeborene Damen spähten durch
Operngläser, das gepuderte Haar hoch über den bemalten Gesichtern aufgetürmt.
Stutzer mit Schnallenschuhen und engen Satinhosen entstiegen Sänften. Damen in
italienischer Seide sowie Herren in englischem Samt standen in engster
Tuchfühlung mit. Kaminfegern, gingen dicht hinter Milchmädchen oder fuhren im
Wagen neben Huren einher.
    Tyburn
Hill am Marble Arch. Velvet
wußte wie ganz London davon, doch hatte sie sich in ihren wirrsten Träumen die
Wirklichkeit nicht so vorgestellt. Nie hätte sie gedacht, daß die Menschen
imstande waren, Freudentänze aufzuführen, während der Henker dem Verurteilten
die Schlinge über den kapuzenverhüllten Kopf schob, daß zotige Lieder gesungen
wurden oder daß sich die Leute eine lustige Guckkasten-Schau besahen, während
ein Stück weiter Menschen starben.
    Über allem
lag der Geruch von Bratäpfeln, als eine Frau sich durch die Menge drängte, auf
dem Kopf eine Kohlenpfanne, in der die Äpfel brieten.
    Velvet
wurde übel, als ihr der Duft in die Nase stieg. Momentan war sie dem Erbrechen
nahe, doch dann verging das Gefühl, und sie beugte sich vorsichtig wieder
hinaus, das Fensterbrett umklammernd.
    Ein
Geistlicher schritt die Reihe der Karren ab und murmelte Gebete für
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