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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Titel: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat
Autoren: Pierre Bayard
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noch lange nicht ausgehen, zeigt Lucien, dass es noch andere Lösungen gibt, wie zum Beispiel die der so genannten »grundlegenden Artikel«. Sie besteht darin, »das Buch zwischen zwei Versprechungen zu ersticken«[ 13 ], indem man im Titel eine Besprechung ankündigt, um sich dann aber in allgemeinen Betrachtungen zu verlieren und am Ende auf einen nächsten Artikel zu verweisen, der allerdings nie erscheinen wird.
    ∗
    Dieses letzte Beispiel scheint auf den ersten Blick ein wenig von den vorangehenden abzuweichen, da Lucien ja dazu aufgefordert wird, über ein gelesenes Buch zu schreiben. Doch das dargestellte Prinzip ist immer dasselbe, ob es sich um Nathans oder Luciens Werk handelt oder um die
Reise nach Ägypten:
Der Inhalt des Buches hat für das Gespräch, zu dem dieses Buch anregt, keine Bedeutung, und bei Balzac wird durch eine Art ultimatives Paradox oder aus Lust an der Provokation sogar die Lektüre wieder möglich.
    Im Fall der drei genannten Bücher hat der Kommentar keinerlei Bezug zum Buch, wohl aber zu dessen Autor. Sein Wert, das heißt, sein Platz im literarischen System ist es, der den Wert des Buches bestimmt. Wie es Lousteau ganz klar zu Lucien sagt, kommt es sogar vor, dass nur der Verleger anvisiert wird: »In unserem Fall schreibst du keinen Artikelgegen Nathan, sondern gegen Dauriat; es bedarf eines Schlages mit der Spitzhacke. Bei einem guten Werk reißt die Spitzhacke nichts ein, aber bei einem schlechten Werk dringt sie bis ins Herz: Im ersten Fall verletzt sie nur den Buchhändler, und im zweiten erweist sie dem Publikum einen Dienst.«[ 14 ]
    Und dieser Platz ist außerordentlich mobil, was bedeutet, dass der Wert des Buches mit dem des Autors steigt und fällt. Lucien kann diese Erfahrung gleich an sich selbst machen, da es für ihn, sobald Dauriat seinen Artikel über Nathans Buch gelesen hat, ein Leichtes ist, seine Gedichtsammlung bei ihm unterzubringen, der Buchhändler begibt sich sogar eigens zu ihm nach Hause, um ihm ein Friedensangebot zu unterbreiten:
    »Er zog ein elegantes Portefeuille aus der Tasche, entnahm ihm drei Tausendfrancscheine, legte sie auf einen Teller und bot sie Lucien mit höfischer Miene an. ›Ist Monsieur zufrieden?‹
    ›Ja‹, sagte der Dichter, der sich beim Anblick dieser unerwarteten Summe von einer nie gekannten Seligkeit ergriffen fühlte.
    Lucien nahm sich zusammen, doch er hätte singen und springen mögen; er glaubte an die Wunderlampe, an die Zauberer, er glaubte schließlich an seinen Genius.
    ›Also gehören die ›Margeriten‹ mir?‹ sagte der Buchhändler. ›Aber Sie werden niemals eine meiner Veröffentlichungen angreifen.‹
    ›Die ›Margeriten‹ gehören Ihnen, doch meine Feder kann ich nicht verdingen, Sie gehört meinen Freunden, wie die ihre mir gehört.‹
    ›Aber Sie werden jetzt einer meiner Autoren. Alle meine Autoren sind meine Freunde. Sie werden also meinen Geschäften nicht schaden, ohne daß ich vorher über die Angriffe verständigt bin, damit ich ihnen vorbeugen kann.‹
    ›Einverstanden.‹
    ›Auf Ihren Ruhm‹, sagte Dauriat und erhob sein Glas.
    ›Ich sehe wohl, daß Sie die ›Margeriten‹ gelesen haben‹, meinte Lucien.«[ 15 ]
    Dauriat lässt sich durch die Anspielung auf seine unterbliebene Lektüre der
Margeriten
kein bisschen aus der Fassung bringen, ist sie doch dadurch, dass der Autor des Buches in der Zwischenzeit ein anderer geworden ist, gegenstandslos geworden:
    »›Mein Kleiner, die ›Margeriten‹ kaufen, ohne sie zu kennen, ist die größte Schmeichelei, die sich ein Buchhändler erlauben kann. In sechs Monaten werden Sie ein großer Dichter sein, es wird Ihnen nicht an Artikeln mangeln, man fürchtet Sie; ich werde nichts zu tun brauchen, um Ihr Buch zu verkaufen. Ich bin heute derselbe Kaufmann wie vor vier Tagen. Nicht ich habe mich geändert, sondern Sie: Vergangene Woche waren Ihre Sonette Kohlblätter für mich, heute hat Ihre Stellung sie zu Rosen werden lassen.‹
    ›Nun gut‹, sprach Lucien, den das fürstliche Vergnügen, eine schöne Mätresse zu besitzen, und die Gewißheit seines Erfolges spöttisch und wundervoll anmaßend machten, ›wenn Sie schon meine Sonette nicht gelesen haben, so haben Sie doch wenigstens meinen Artikel gelesen.‹
    ›Ja, mein Freund, wäre ich sonst so schnell gekommen? Er ist unglücklicherweise sehr gut, der schreckliche Artikel.‹«[ 16 ]
    Doch Lucien ist mit seinen Desillusionierungen noch nicht zu Ende. Am selben Tag, am dem sein Artikel
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