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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Titel: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat
Autoren: Pierre Bayard
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sehen.‹
    ›Aber wie wollen Sie Ihre Artikel schreiben?‹ fragte Lucien.
    Barbet warf ihm einen Blick tiefen Erstaunens zu und hob spöttisch seine Augen zu Etienne: ›Man sieht, daß Monsieur nicht das Unglück hat, Literat zu sein.‹«[ 5 ]
    Überrascht, dass man einen Artikel über ein Buch schreiben kann, das man nicht gelesen hat, möchte Lucien wissen, wie Lousteau es anstellen will, das Versprechen gegenüber dem Zeitungsdirektor einzulösen.
    »›Und Ihre Artikel?‹ fragte Lucien, als sie zum Palais-Royal fuhren.
    ›Bah! Sie wissen nicht, wie schnell man das hinter sich bringt. Was die ›Reise nach Ägypten‹ anbelangt, so habe ich das Buch aufgeschlagen und hier und da ein wenig gelesen, ohne es aufzuschneiden, und ich habe dabei elf grammatikalische Fehler entdeckt. Ich werde eine Spalte machen und schreiben, daß der Autor zwar die auf den sogenannten Obelisken, ägyptischen Kieselsteinen also, eingravierte Entensprache gelernt hat, seiner eigenen Sprache aber nicht mächtig ist, und ich werde es ihm beweisen. Ich werde schreiben, daß, anstatt uns von Naturgeschichte und Altertümern zu sprechen, er sich besser mit der Zukunft Ägyptens, mit dem Fortschritt der Zivilisation und mit den Mitteln hätte beschäftigen sollen, Ägypten wieder an Frankreich zu binden, das dieses Land, nachdem es selbiges erobert und verloren hat, durch seinen moralischen Einfluß noch einmal an sich ketten kann. Dazu etwas Patriotismus, und das Ganze gespickt mit Tiraden über Marseille, den Orient und unseren Handel.‹«[ 6 ]
    Auf die Frage Luciens, was Lousteau gemacht hätte, wenn der Autor nun selbst über Politik gesprochen hätte, antwortet ihm sein Freund, ohne mit der Wimper zu zucken, dann hätte er ihm eben vorgeworfen, den Leser zu langweilen, statt sich mit der Kunst zu beschäftigen, und das Land von seiner pittoresken Seite zu zeigen. Er wendet im Übrigen eine andere Methode an, die darin besteht, jedes Buch erst von seiner Freundin, der Schauspielerin Florine lesen zu lassen, »dergrößten Romanleserin auf der Welt«[ 7 ]. Und nur, wenn sich diese bei dem, was sie »Schreibergewäsch« nennt, langweilt, nimmt er das Buch überhaupt zur Kenntnis und verlangt vom Buchhändler ein neues Exemplar, um einen positiven Artikel darüber zu verfassen.
    ∗
    Wir finden hier offensichtlich ein paar bereits näher bestimmte Formen des Nichtlesens wieder, nämlich, sich eine Vorstellung vom Buch zu machen, ohne es zu kennen, es quer zu lesen oder nach dem Hörensagen darüber zu reden. Lucien dagegen ist doch ein bisschen überrascht über die Kritikmethode seines Freundes und bekennt ihm sein Erstaunen:
    »›Guter Gott, aber die Kritik, die heilige Kritik!‹ sprach Lucien, beseelt von den Lehren des Freundeskreises. ›Mein Lieber‹, sagte Lousteau, ›die Kritik ist eine Bürste, die man für feine Stoffe nicht verwenden kann, weil sie alles zerstören würde. Aber lassen wir das jetzt! Sehen Sie diesen Strich?‹ fragte er und zeigte ihm das Manuskript der ›Margeriten‹. ›Ich habe Ihre Schnur durch etwas Tinte mit dem Papier verbunden. Wenn Dauriat Ihr Manuskript liest, wird es ihm gewiß unmöglich sein, die Schnur genau wieder an dieselbe Stelle zu bringen. So ist Ihr Manuskript wie versiegelt. Das ist nicht ohne Nutzen für die Erfahrung, die Sie machen wollen. Achten Sie auch noch darauf, daß Sie nichtallein und ohne Sekundanten in diesen Laden kommen werden, wie die kleinen jungen Leute, die sich bei zehn Buchhändlern vorstellen, ehe sie einen finden, der ihnen einen Stuhl anbietet…‹«[ 8 ]
    Lousteau treibt die Desillusionierung seines Freundes unerbittlich voran mit seinem Rat, das Manuskript der
Margeriten
mit einer tintengeschwärzten Schnur zu versiegeln, bevor er es einem der wichtigsten Pariser Verleger, Dauriat, übergibt, um nachprüfen zu können, ob dieser es, wenn auch nicht gelesen, so doch zumindest aufgeschlagen hat.
    Als Lucien Dauriat aufsucht, um ihn nach seiner Entscheidung zu fragen, macht dieser ihm wenig Hoffnung auf eine Veröffentlichung:
    »›Gewiß‹, sagte Dauriat und beugte sich würdevoll in seinem Sessel vor. ›Ich habe die Sammlung durchgesehen, ich habe sie einem Mann von Geschmack, einem guten Richter, zum Lesen gegeben, denn ich erhebe nicht den Anspruch, mich darin auszukennen. Ich, mein Freund, kaufe den fertigen Ruhm, wie jener Engländer die Liebe kaufte. Sie sind ein ebenso großer Dichter wie hübscher Junge, mein Kleiner. Darauf mein Wort als
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