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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Titel: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat
Autoren: Pierre Bayard
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Ehrenmann, ich sage nicht: als Buchhändler, verstehen Sie? Ihre Sonette sind wunderbar, man spürt nicht die Arbeit darin, was selten ist, wenn man Phantasie und Schwung hat. Kurzum, Sie verstehen zu reimen, das ist eine der Qualitäten der neuenSchule. Ihre ›Margeriten‹ sind ein schönes Buch, aber kein Geschäft; ich kann mich nur mit großen Unternehmungen abgeben.‹«[ 9 ]
    Bei seiner Ablehnung des Manuskripts behauptet Dauriat zwar nicht, es vollständig gelesen, aber doch, es zur Kenntnis genommen zu haben, und er ist sogar imstande, ein paar Bemerkungen zum Stil, zum Beispiel zur Qualität der Reime zu machen. Doch dank der von Lousteau getroffenen materiellen Vorkehrung können sich die beiden Freunde die Sache etwas genauer ansehen:
    »›Haben Sie das Manuskript da?‹ fragte Lucien kühl.
    ›Hier ist es, mein Freund‹, antwortete Dauriat, dessen Haltung gegenüber Lucien bereits ausgesprochen wohlwollend geworden war.
    Lucien nahm die Rolle, ohne darauf zu schauen, in welchem Zustand der Bindfaden war, da Dauriat alle Miene zeigte, die ›Margeriten‹ gelesen zu haben. Er ging mit Lousteau hinaus, ohne bestürzt oder niedergeschlagen zu scheinen. Dauriat begleitete die beiden Freunde in den Laden, wobei er von seiner Zeitung und der Lousteaus sprach. Lucien spielte nachlässig mit dem Manuskript der ›Margeriten‹.
    ›Du glaubst, Dauriat hat deine Sonette gelesen oder lesen lassen?‹ flüsterte ihm Etienne ins Ohr.
    ›Ja‹, sagte Lucien.
    ›Sieh dir das Siegel an.‹
    Lucien stellte fest, daß der Tintenstrich und der Bindfaden sich vollkommen deckten.«[ 10 ]
    Um seine Meinung zu präzisieren, braucht Dauriat nur die weiter oben gemachten Kommentare weiterzuentwickeln, auch wenn er das Manuskript gar nicht aufgeschlagen hat:
    »› Welches Sonett hat Ihnen besonders gefallen?‹ fragte Lucien den Buchhändler, vor Wut und Zorn erbleichend. ›Sie sind alle ausgezeichnet, mein Freund‹, antwortete Dauriat, ›aber das von der Margerite ist deliziös, es schließt mit einem feinen, sinnreichen Gedanken. Ich habe darin den Erfolg gespürt, den Ihre Prosa haben muß.‹«[ 11 ]
    ∗
    Der Gedanke, dass es nicht nötig ist, ein Buch zu lesen, um darüber zu sprechen, wird an einer späteren Stelle des Dialogs zwischen Lucien und Lousteau noch einmal illustriert. Dieser schlägt seinem Freund vor, als Rache für die Beleidigung einen vernichtenden Artikel über das Buch von einem von Dauriats Schützlingen, Nathan, zu verfassen. Doch die Qualität des Buchs ist so offenkundig, dass Lucien nicht sieht, wie er es anstellen sollte, ihn zu kritisieren. Da erklärt ihm Lousteau lachend, es sei langsam an der Zeit, dass er sein Handwerk lerne, das dem eines Akrobaten ähnleund darin bestehe, die Qualitäten eines Buches in Schwächen zu verwandeln, das heißt, ein Meisterwerk in »eine einfältige Nichtigkeit«.[ 12 ]
    Anschließend setzt ihm Lousteau die Methode auseinander, mit der man ein Buch, das man eigentlich für sehr gelungen hält, verreißen kann. Sie besteht darin, als Erstes die »Wahrheit« zu sagen und das Werk zu loben. Durch diese wohlwollende Einleitung gewinnt man das Vertrauen des Publikums, das den Kritiker als unparteiisch beurteilt und bereit ist, ihm zu folgen.
    Als Zweites zeigt Lousteau auf, dass sich Nathans Werk in ein System einordnen lässt, das auf die ganze französische Literatur anwendbar ist. Typisch dabei ist ein exzessiver Gebrauch von Beschreibungen und Dialogen sowie eine Bildfülle, die auf Kosten des Denkens geht, das in den großen Werken der französischen Literatur stets entscheidend war. Walter Scott ist bestimmt ein bemerkenswerter Autor, doch »gibt es nur Platz für den Erfinder«, und sein Einfluss kann für seine Nachfolger verhängnisvoll sein.
    Diese Gegenüberstellung einer »Literatur der Idee« und einer »Literatur des Bildes« wird also gegen Nathan gewendet, der nichts als ein Nachahmer ist und nur scheinbar Talent hat. Sein Werk mag zwar verdienstvoll sein, doch ist es auch gefährlich, denn es öffnet die Pforten zur Literatur der breiten Masse, indem es einen Haufen kleiner Autoren anregt, eine allzu leichte Form zu imitieren. Und diesem Verfall des Geschmacks soll Lucien nun Lousteau zufolge den Kampf ansagen, wie es die Schriftsteller tun, die der Invasion der RomantikerWiderstand leisten und die Schule Voltaires fortführen, indem sie den Gedanken gegen das Bild verteidigen.
    Und Lousteau, dem die Vorschläge zur Vernichtung der Bücher
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