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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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Kopf nur dazu hast, damit es nicht in den Hals regnet, solltest du dich vielleicht an einer anderen Schule anmelden!
    Aus derartigen Diskussionen hält man sich raus. Man brummt und grummelt vor sich hin. Auch das ist Trademark zu nennen. Jeder braucht etwas, das ihn von anderen unterscheidbar macht. Wenn man eine Führungspersönlichkeit ist, muss man eine Aura der Überlegenheit verbreiten. Wenn man eine große Klappehat, muss man sie nützen. Wenn man schön ist, hat man sowieso keine Probleme. Aber wenn einem all das fehlt, muss man versuchen, nett und lustig und knuddelig zu sein. Das braucht Übung, doch wenn man früh genug mit dem Training beginnt, kann man es auch als Dickerchen weit bringen. Das verspricht jedenfalls der Autor von
So mache ich mir Freunde
.
    Wenn man von den Mitschülern Teddy genannt wird, ärgert man sich zunächst. Bis man erfährt, dass man damit schon einen Sieg errungen hat. Die ganz Unwichtigen haben nämlich überhaupt keine Spitznamen. Jedenfalls meint das der Autor von
So mache ich mir Freunde, Teil II
.
    Und er weiß noch mehr: Ein Teddy begehrt nicht auf wie andere, er erobert sich seinen Platz durch passive Resistenz. Während der Schulstunde eingeschlafen oder heimlich Wein mitgetrunken, alle Achtung, ein stilles Wasser, der gehört zu uns und nicht zu den Lehrern. Man genießt wohlwollenden Respekt, nicht zuletzt für die elegante Angewohnheit, gar nicht erst zum Unterricht zu erscheinen. Der Umstand, dass Mutter einerseits unleserlich unterschreibt, andererseits ohnehin keine Erinnerung mehr daran hat, ob dieses oder jenes Schriftstück ihrer Kontrolle zugeführt worden ist, macht vollständig in der Schule verbrachte Vormittage unwahrscheinlich.
     
    Dies also ist der Weg des Teddys: Man läuft mit, aber man tut es auf eine Weise, die nur jenen auffällt, denen man gefallen will, nicht aber jenen, die man fürchtet. Aus:
So komme ich nach oben
.
     
    Als man sich daran gewöhnt hat, bisweilen Teddy genannt zu werden, beginnen Mitschüler, mit denen man sich nicht grün ist, einen »Barde« zu rufen, und da sie sich explizit auf eine Comicfigur beziehen, ist man gekränkt.
     
    Merke: Die meisten Spitznamen halten nicht lange.

 
    Wenn man sehr einsam ist, betet man.
    Natürlich ist das Gebet eine überspannte Einrichtung. Aufgeklärte Menschen glauben nicht an Gott. Somit ist niemand da, der die üblichen Wünsche nach Lottogewinn oder schönem Wetter anhört. Aber gerade im Alter von zwölf oder dreizehn, wenn Eltern fälschlicherweise annehmen, im Kinderzimmer befinde sich ein Kind, kann die Einsamkeit so groß werden, dass man nach jedem erreichbaren Rettungsring langt. Und da ein Kinderglaube kaum auszurotten ist, kann es in diesem Alter zu Gebeten kommen.
    Mit fast siebzehn Jahren zu beten ist hingegen eine heikle Angelegenheit. Man schämt sich, man ist doch fast erwachsen. Zudem gibt es Claudia, die die Einsamkeit lindert und derart drastische Schritte in der Regel unnötig macht. Aber sie ist übers Wochenende nach Tirol gefahren.
    Man ist einsam und verzweifelt. So faltet man die Hände und spricht:
    – Lieber Gott, bitte mach, dass ich glücklich werde. Bitte mach, dass die Menschen mich mögen und achten. Bitte mach, dass ich mich nicht mehr so allein fühle. Bitte mach, dass Mutti weniger trinkt. Bitte mach, dass ich ein paar Kilo abnehme. Bitte mach, dass Veronika sich für mich interessiert. Und bitte lass das verflixte Zahnweh aufhören.
    Da Gott einem hilft, wenn man sich selbst hilft, nimmt man gegen die Zahnschmerzen eine Tablette. Sobald sie wirkt, ruft man Paul an. Er hat keine Zeit. Man probiert es bei Harry undPhilipp. Keiner von ihnen ist zu erreichen. Weiter fällt einem niemand ein. Man versucht es wieder bei Paul. Der lässt sich nun verleugnen.
    Also legt man sich aufs Bett und weint ein wenig.
     
    Wenn man tags darauf mit der ausnahmsweise nüchternen Mutter die Tankels besucht, um den Geburtstag von Tante Kathi zu feiern, ist man gekleidet wie ein Firmling und fühlt sich unwohl in seiner Haut, und das nicht nur, weil kürzlich in der Sowjetunion ein Kernkraftwerk in die Luft geflogen ist. Den Protest der Tankels antizipierend, hat Mutter Jeans und Lederjacke nebst Hippiehalskette und Klimbim zurückgewiesen und darauf bestanden, man müsse die schöne Samthose, die schönen Halbschuhe und die schöne neue Lodenjacke tragen und sich zudem frisieren. Da es gegen die Donnerworte der Tankels, vor denen selbst die Mutter zittert, keinen Einspruch
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