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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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die die Hand zwischen seine Beine klemmt und auf ihn einschreit:
Cojones! Cojones!
    Oder Mutter und Tochter. Die eine siebzig, die andere fünfzig. Die Alte:
Rasier dich endlich.
Die Junge:
Du hast Herrn Pflegerl hintergangen.
Die Alte:
Du könntest dir deinen Bart rasieren. Wie sieht denn das aus.
Die Junge kreischt:
Immer bist du gemein zu mir
. Die Alte:
Es gibt ja Mittel.
Die Junge flennt:
Herr Pflegerl und Josef wissen alles!
     
    Merke: Wenn man am Samstag vor Weihnachten um ein Uhr früh vor dem Zentralfriedhof steht, kommt man ins Grübeln.
     
    Die Zeit zu relativieren sei eine Gewohnheit alter Menschen, heißt es. Man ist vierundzwanzig. Dennoch fragt man sich, ob es erst zwei Jahre her ist, dass man zu zehnt, zu zwölft
Twin-Peaks -
Partys gefeiert hat. Ob man vor fünf Jahren erst die Schule verlassen hat.
    In solchen Stimmungen sollte man versuchen, mit Dieter Moor zu sprechen, zumindest wenn Samstag ist. Man tippt die Nummer ins Autotelefon. Hat man Glück, hört man eine Stimme, die einem mitteilt, man solle warten.
    Man steckt sich eine Zigarette an, obwohl man ausnahmsweise mit einem Nichtrauchertaxi unterwegs ist. Der Tagfahrer hat mit den glatten Straßenbahnschienen nicht umzugehen verstanden und den Wagen in die Fassade eines Bankgebäudes chauffiert.
    Es ist das erste Mal, dass man durchgekommen ist. Das erste Mal überhaupt. Es ist einem wichtig, mit Dieter Moor zu sprechen. Man hofft, vor ihm zu bestehen. Aufgeregt wartet man. Man wartet und wartet und wartet. Ab und zu steigen Fahrgäste ein. Man sagt, man sei besetzt.
    – Ich muss nur drei Straßen weiter, Sie sind ja gleich wieder da.
    – Tut mir leid. Bin besetzt.
    Eine alte Frau kommt des Weges. Es hat zu regnen begonnen, sie ist durchnässt.
    – Gott sei Dank! Bitte in die   …
    – Ich bedaure, ich bin besetzt.
    – Aber das ist gleich dort drüben.
    Wenn man als Taxilenker verzweifelt auf Kundschaft wartet, kommt kein Mensch. Wenn man kurz davor steht, mit Dieter Moor zu sprechen, wird man mit Aufträgen überhäuft. Dochman sollte hart bleiben und der Frau über Funk einen anderen Wagen rufen. Sie darf im Fond warten. Mit einem pikierten Dankeschön steigt sie aus, als ihr Taxi kommt. Man winkt ihr mit der Zigarette.
    Eine Stimme sagt, man sei gleich dran. Man wirft die Zigarette hinaus in den Regen und sucht in den Taschen fahrig nach der Packung. Man wird mit Dieter Moor über Film sprechen und einiges über Beziehungen und Selbsterkenntnis ins Gespräch einfließen lassen.
    An der Seitenscheibe klopft es. Man bedeutet dem Mann zu verschwinden. Kurzerhand öffnet er die Tür.
    – In die Wagnerstraße.
    – Sie sehen doch, ich bin besetzt.
    – Das sehe ich nicht! Also, fahren wir.
    – Es tut mir leid, es geht nicht.
    Im Rückspiegel sieht man, wie der Mann es sich auf dem Sitz bequem macht. Er steckt sich eine Zigarette an und raunt:
    – Avanti.
     
    Merke: Wenn man jetzt wortlos den Hörer auflegt und losfährt, weiß man, dass man niemals mit Dieter Moor sprechen wird.

 
    Obwohl Laura Traditionen aller Art verabscheut, weil sie diese für das Zeichen eines Mangels an Eigenständigkeit hält, spricht aus ihrer Sicht nichts dagegen, zu Weihnachten eine Einladung von Arnold und Heike zum Fischessen anzunehmen.
    – Ich muss doch zu den Tankels, wendet man ein.
    – Charlie, mit dir hat man es schwer.
    – Alle sind traurig, wenn ich nicht komme.
    – Arnold und Heike sind auch traurig, wenn du nicht kommst, von mir ganz zu schweigen!
    Es liegt einem die Bemerkung auf der Zunge, Arnold und Heike würden bei ihrem Cannabiskonsum überhaupt nicht merken, wenn ein Eingeladener fehlt, und es würde ihnen ebenso wenig auffallen, wenn sie mit jemandem speisten, den sie noch nie gesehen hätten   … Aber man weiß genau, dass man solche Witze hinunterschlucken sollte. Laura versteht da keinen Spaß.
    Unter Aufbietung allen Charmes gelingt es einem, das Fischessen für acht Uhr anzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Bescherung bei den Tankels längst vorbei. Wenn man sich etwas früher absentiert als sonst, wird dies nicht gleich für einen Skandal sorgen. Arnold und Heike sagen, sie hätten nichts dagegen, und schließlich nickt Laura: In Gottes Namen.
     
    Merke: Wenn man von seiner Tante zu Weihnachten einen rosa Frotteeschlafrock geschenkt bekommt und sie einem erklärt, das sei für den Fall, dass man einmal ins Krankenhaus komme und operiert werde, betet man, dass Wahnsinn nicht erblich ist.
     
    Hat man eine
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