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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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dreiprozentiger Draufgänger ist, nimmt man sich vor, am Montag nicht um acht Uhr abends im Café Paradox zu erscheinen, und hört so oft
Cornflake girl
, bis man fast erbrechen muss.
     
    Da man nach zwei Stunden am Stadtrand nicht mehr weiß, was man mit den Fingern anfangen soll, greift man zum Autotelefon und ruft die Tankels an. Man fragt, wie es ihnen geht. Sie fragen, wo man ist. Als man antwortet, man sitze im Taxi, bittet Tante Kathi aufzupassen, dass man nicht erschossen werde. Neulich sei ein Taxifahrer in der Stadt von einem jungen Burschen erschossen worden. Das könne jedem passieren.
    Man verspricht, alles Erforderliche in die Wege zu leiten, um nicht erschossen zu werden.
    Seit einiger Zeit beginnt Tante Kathi wunderlich zu werden. Die Angst, ihr Neffe könne erschossen werden, gehört zu einer Reihe seltsamer Zwangsvorstellungen, die sie seit geraumer Zeit heimsuchen. So darf in ihrem Schlafzimmer kein Radio und kein Fernseher mehr stehen. Sie fürchtet, die Elektronik darin könne ihren Herzschrittmacher durcheinanderbringen. Außerdem fordert sie einen Herzstich an ihrem Leichnam, um nicht lebendig begraben zu werden. Der boshafte Onkel Hans hat geflüstert, man brauche ja nur die Batterien aus dem Schrittmacher zu klauen oder ein kleines Funkradio in den Sarg zu schmuggeln.
    Man trommelt gegen das Lenkrad, spuckt Kaugummi aus dem Fenster. Hört Nachrichten. Kann sich nicht konzentrieren, muss an Laura, an Conny denken. Man ist unzufrieden mit sich.
     
    Merke: Wenn einem die Dinge entgleiten, sollte man sich auf sich selbst besinnen.
     
    Diese einfache Regel nützt jedoch nur etwas, wenn genug da ist, worauf man sich besinnen könnte.
    Alles wäre einfacher, wenn man in einer Zeit lebte, in der es Helden gibt. Da diese Zeiten jedoch vorbei sind, existiert auch niemand, an dessen Beispiel man sich aufrichten kann. Ein Sitzer, der sich Sinn in seiner Generation wünscht, überprüft zuweilen sogar mit einem gewissen Ernst den Wahrheitsgehalt der These, ein Krieg wäre nicht schlecht. Ein Krieg reinigt und läutert und bietet mancher Generation und manchem Sitzer Gelegenheit, sich zu wandeln, so er nicht verreckt.
    Man reinigt seine Brille und stellt sich vor, man sei im Krieg, den Finger am Abzug einer Maschinenpistole. Ratatatata   …
    Da aber kein Krieg kommen wird und man noch immer zuweilen an Paoletta denken muss, die einem mehr und mehr wie eine Figur in einem Film erscheint, den man vor Jahren gesehen hat, sollte man sich mit dem Gedanken anzufreunden versuchen, dass niemand mehr auftreten wird, der eine Richtung vorgibt.
    Erwachsen zu sein bedeutet nicht, freie Entscheidungen treffen zu dürfen. Erwachsen zu sein bedeutet, freie Entscheidungen treffen zu müssen.

 
    Wenn man feststellt, dass man sein eigenes Geschlechtsteil nur mehr sehen kann, wenn man vor dem Spiegel steht, sollte man es für angezeigt halten, den Süßigkeitenkonsum drastisch einzuschränken. Man nimmt sich dies ernsthaft vor, doch mit guten Vorsätzen allein kommt man nicht weiter. Man hatte ja auch den Vorsatz, sich Conny nicht mehr mit erotischem Interesse zu nähern.
    Es ist eine interessante Beobachtung, dass viele Männer den Versuch unternehmen, zu einer Frau eine Freundschaft zu entwickeln, in der Sexualität keine Rolle spielen soll. Derlei Unternehmungen sind laut
Die große Geschichte der Rockmusik, psychologisch betrachtet
von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es so etwas nicht geben kann. In jeder Freundschaft zwischen Frau und Mann wäre der Mann durchaus bereit, das Platonische und Liebliche und Reine sausen zu lassen und sofort ins Bett zu kriechen. Da Männer aber in der Kunst des Selbst- und Fremdbetrugs große Meister sind, machen sie entweder sich oder der Freundin vor, wirklich gar nichts zu fühlen, wenn sie mit ihr abends auf der Couch liegen und Filme anschauen.
    Da man über diese Dinge mittlerweile Bescheid weiß, ahnt man, dass die Idee, mit Conny eine Freundschaft aufzubauen, keine gelungene Verwirklichung erleben wird. Also: Hingehen? Oder nicht?
     
    Natürlich geht man hin. Man geht am Montag ins Café Paradox und am Freitag ins Baby Jane und am darauffolgenden Dienstagwieder ins Baby Jane, weil es beiden dort gut gefallen hat. Man ist verliebt. Man muss hingehen. Auch wenn man nicht weiß, was man tun soll. Das Essen am Samstag ist öde ohne Conny. Man hat keinen Appetit. Ständig stellt man sich vor, was sie wohl gerade tut. Schließlich konnte man sie ja nicht einladen.
    Wenn
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