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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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Weihnachtsfeier bei den Tankels hinter sich, in deren Rahmen das christliche Liedgut exzessiv verherrlicht wurde, macht es einem nicht mehr so viel aus, die verlauste Wohnung Arnolds und Heikes zu betreten. Vor Kurzem haben die beiden nach altthartessischem Ritus geheiratet, und überall hängen noch einschüchternde Gegenstände herum, die sie als Schmuck bezeichnen.
    Nachdem man den Gastgebern die Ehre erwiesen hat, ein paar kleine Züge von ihrem Joint zu nehmen, wird aufgetischt. Es gibt Karpfen mit Petersilienkartoffeln. Misstrauisch schaut man auf seinen Teller. Ein paarmal hat man Arnold beim Kochen zugesehen, und lieber würde man nichts von dem anfassen, was von ihm zubereitet wurde.
    Arnold und Heike fressen wie die Tiere und nicht nur, was Menge und Geschwindigkeit betrifft. Eine Weile belustigt man sich insgeheim über Heikes Kampf mit einem widerspenstigen Fischmesser, doch dann bringt sie einen um den Genuss, indem sie das Besteck weglegt und mit den Händen weiterisst. Man wirft Laura einen Blick zu. Sie tut, als sehe sie nichts.
    Arnold springt auf und läuft kauend und mit offenem Mund zur Stereoanlage, um seinen geliebten Reggae aufzulegen. Zum ersten Mal ist man dankbar, Bob Marleys Stimme zu hören, weil sie nun Arnolds Schmatzen übertönt.
    Das Gespräch dreht sich um Weihnachten, um Geschenke. Man erzählt vom Schlafrock fürs Spital. Beinahe muss man schreien, weil die Musik so laut ist. Alle finden die Geschenkidee entzückend und sagen, Tante Kathi müsse eine fürsorgliche Person sein.
    Bald kommen die Gastgeber auf ihr Lieblingsthema zu sprechen. Noch mitten im Essen holt Heike Papier und Stifte. Die Musik wummert, man hat auf Heike geachtet, und so weiß man nicht, wie lange Laura schon auf den Tisch klopft und um Luft ringt.
     
    Merke: Wenn man seine Freundin sieht, die mit einer Karpfengräte in der Kehle kämpft, ist es einer schnellen und vor allem vernünftigen Reaktion abträglich, wenn alle Versammelten zuvor Haschisch geraucht haben.
     
    – Luftröhrenschnitt!, schreit Heike. Sie wird schon ganz blau!
    Sie drückt einem ein Fischmesser in die Hand. Voll Entsetzen läuft sie durch die Wohnung und flucht. Arnold steht am Fenster und jammert im Diskant:
    – Scheiße, Scheiße!
    Da auf die übrigen Anwesenden nicht zu zählen ist, muss man sich trotz eines erschütternden Mangels an medizinischem Fachwissen vermittels eines Fischmessers an einem Luftröhrenschnitt versuchen. Wenn man keine Ahnung hat, wo sich die Luftröhre befindet, erschwert dies die Situation zusätzlich.
    Wenn man mit einem Fischmesser an Lauras Hals herumsticht, entdeckt man rasch, dass es für diese Zwecke zu stumpf ist.
    – Ein schärferes Messer!, ruft man. Ein spitzeres!
    Heike beginnt im Werkzeugschrank zu kramen. Paralysiert steht Arnold am Fenster und stammelt Unverständliches. Laura windet sich und röchelt. Bob Marley beginnt,
No woman, no cry
zu singen.
    In Extremsituationen reagiert man oft auf eine Weise, die man sich später nicht erklären kann. Nur auf Schock ist es zurückzuführen, dass man sich an die Spüle stellt, den Wasserhahn öffnet und in Windeseile ein gewaltiges Küchenmesser zu schleifen beginnt.
    – Was machst du da, ruft Heike, bist du irre?
    Als man sich umdreht, bekommt Arnold beim Anblick des Messers einen Schreikrampf. Es ist ein schauderhaftes Falsettgeheule, das einem durch Mark und Bein geht, obwohl man gerade jetzt eine ruhige Hand so nötig hätte.
    Noch immer weiß man nicht, wo die Luftröhre verläuft. Auf gut Glück sticht man da und dort ein bisschen in den Hals. Aber sticht man tief genug? Muss man über dem Kehlkopf stechen oder darunter? Und woran merkt man, wenn man getroffen hat? Zischt es?
     
    Merke: Wenn es viele Wege gibt, aber nur einer der richtige ist, muss man sie alle gehen.
     
    Man sticht oben, man sticht unten, man sticht rechts und links und tief und flach. Irgendwann steht Heike da, in der Hand hält sie ein Teppichmesser. Das unhandliche Küchenmesser schleudert man in eine Ecke. Arnold heult auf. Von der Klinge des Teppichmessers bricht man die rostige Spitze ab. Panisch überlegt man, wo man noch schneiden könnte. An unzähligen Stellen ist Lauras Hals perforiert, und der Küchenboden sieht aus wie bei einem Schlachtfest. Lauras Röcheln wird rapide schwächer.
    Vor diesem Anblick flüchtet sich Arnold auf den Balkon, wo er wie ein Vieh zu brüllen beginnt. Damit ermuntert er Heike, ihre Contenance aufzugeben und ihrerseits Geschrei
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