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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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einen. Wieder meinte er einen Schatten zu erkennen.
    «He!», rief er und dachte gleichzeitig, dass seine Stimme klang, als hätte er ein Tuch vor dem Mund. Jetzt sah er den Schatten deutlicher, einen geduckten Schatten, der schrumpfte und sich plötzlich aufzulösen schien.
    Brunner ging schnell weiter, wieder kollerten Steine, ganz entfernt diesmal, und plötzlich stürzte Brunner wie ein gefällter Baum. Knallte mit dem rechten Ellenbogen auf eine Schiene, mit dem Kopf auf Schotter, sein Körper jedoch wurde von etwas Weichem aufgefangen.
    Brunner wusste sofort, dass er sich verletzt hatte, war erstaunt, dass der Schmerz erst mit einer Verzögerung einsetzte, die ihm unendlich lang erschien, war beinahe erleichtert, als endlich ein Feuerstrahl durch seinen rechten Arm fuhr, hinauf in die Schulter und hinab in jeden einzelnen Finger. Kurz danach begann sein Gesicht zu brennen und er spürte, wie seine Lippen anschwollen. Ein paar Minuten lang blieb er reglos liegen, um die Benommenheit in seinem Kopf zu überwinden. Dann tastete er mit der linken Hand über seine Stirn und die rechte Wange, spürte eine warme Flüssigkeit und dachte: Ich blute. Als er versuchte, den rechten Arm zu bewegen, zuckte er heftig zusammen, und ihm wurde schlecht vor Schmerz. Eine Weile atmete er mit geschlossenen Augen, nahm aber gleichzeitig ein Vibrieren wahr, das ihm vertraut erschien.
    Plötzlich war Brunner hellwach, richtete sich auf, kniete endlich, die Linke auf diesem großen weichen Etwas abstützend, das ihn offensichtlich zu Fall gebracht hatte. Obwohl er kaum etwas sehen konnte, weil Blut in seine Augen lief und der Nebel ihn umschloss, erspürte seine Hand augenblicklich, dass ein Mensch vor ihm lag. In der nächsten Sekunde begriff er außerdem, dass sie beide auf den Schienen von Gleis siebzehn oder achtzehn liegen mussten und dieses vertraute Vibrieren bedeutete, dass ein Zug auf sie zufuhr. Brunner hatte keine Zeit zu überprüfen, wo genau die Gleise verliefen. Mit der unverletzten Hand zerrte er den schlaffen Körper des Unbekannten nach links, rollte ihn irgendwie, rollte sich selbst, betete, dass es die richtige Seite sein würde, zog den Kopf ein, legte den Arm schützend über die Augen, als er die verschwommenen Lichter des Triebwagens auf sich zukommen sah, wollte schreien, aber es kam kein Ton.
     
    Der Eurocity aus Rom stand noch immer im Münchner Hauptbahnhof. Die Putzkolonne hatte gerade erst mit ihrer Arbeit begonnen, als auf dem Bahnsteig Blaulichter zu blinken begannen, Wachleute rannten. Die Frauen und Männer des Reinigungspersonals drängten sich an die Fenster und starrten hinaus. Etwas musste geschehen sein, hatte aber offensichtlich nichts mit dem Eurocity zu tun, denn die Polizisten und Wachleute verschwanden am Ende des Bahnsteigs im Nebel, und die Einsatzwagen hielten weit außerhalb der Bahnhofshalle. Zuletzt rasten zwei Krankenwagen an den Fenstern des Zuges vorüber.
    «Wahrscheinlich Selbstmörder!», sagte die Türkin Sefika Ada zu ihrer deutschen Kollegin und wandte sich seufzend der Behindertentoilette zwischen erster und zweiter Klasse zu.
    «Tätst du dich vor an Zug legen?», fragte Rosl Meier und leerte die Abfallbehälter auf dem Zwischengang in einen großen blauen Plastiksack. Rosl war ziemlich dick und kam leicht außer Atem.
    «Ich? Niemals!», antwortete Sefika ein bisschen zu laut und versuchte die Toilettentür zu öffnen. «Besetzt» stand auf dem leuchtend roten Knopf, aber es war ja keiner mehr im Zug. Sefika steckte den Generalschlüssel ins Schloss, doch die automatische Tür ruckte nur kurz. Etwas klemmte. Die junge Frau stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür, bekam sie jedoch nur einen Spalt breit auf. Im Gegensatz zu Rosl war sie klein und zierlich.
    «Ich auch ned! Mich würd der Schlag treffen, wenn ich so eine Lok sehen würd. Ich tät wegrennen!» Rosl klappte die Deckel der Müllbehälter kräftig zu.
    «Kannst du helfen, Rosl?», fragte Sefika. «Türe geht nicht auf.»
    «Musst halt mehr essen!», antwortete Rosl gutmütig. «Ich hab noch nie so a dünne Türkin g’sehen wie dich! Kei Wunder,dass du die Tür ned aufbringst!» Rosl stellte ihre Müllsäcke ab und trat neben Sefika. «Wie tätst du dich umbringen, wenn du dich umbringen tätst?»
    Sefika stopfte eine Haarsträhne unter ihr grünes Kopftuch und runzelte die Stirn. «Vielleicht schwimmen – im Meer. Immer weiter und weiter!», murmelte sie.
    «Da musst du aber erst hinfahren, ans
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