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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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Meer.» Rosl drückte gegen die Toilettentür, doch weiter als ein paar Zentimeter ließ die sich auch von ihr nicht öffnen. «Ich würd Tabletten nehmen!», stöhnte sie, während sie ihren breiten Rücken gegen die Tür presste und sich mit beiden Füßen abstemmte. «Tabletten kriegst überall, und dann merkst nix mehr! Was is denn mit der blöden Tür?» Rosl versuchte durch den Spalt zu schauen, blieb aber mit dem Kopf stecken. «Probier du! Dei Kopf is ned so dick wie meiner! Da muss was hinter der Tür liegen. Aber eigentlich geht des nicht. Wenn was hinter der Tür liegt, dann kann auch keiner raus!» Rosl rieb ihre runde kleine Nase, hielt plötzlich inne und sagte viel leiser: «Wenn da einer hinter der Tür liegt, dann is der tot oder krank. Dann kann der gar nicht raus aus dem Klo!»
    Sefika wich von der Tür zurück.
    «Ich nicht schauen!», flüsterte sie.
    «Jetzt komm, stell dich ned so an!»
    «Ich nicht schauen!», wiederholte die junge Türkin und drückte auf den Öffner der Außentür. «Wenn Polizei kommt, dann nicht gut. Ich schwarz arbeiten! Ich gehen! Du sagst Chef, Sefika krank geworden.»
    Zischend ging die Wagentür auf, und Sefika war so schnell verschwunden, dass Rosl nicht einmal antworten konnte. Sefika hatte Recht, und Rosl dachte, dass es besser wäre, ebenfalls zu verschwinden. Sie arbeiteten beide schwarz. Falls tatsächlich etwas hinter der Klotür liegen sollte, konnten sie ganz schnell ihren Job verlieren. Die Polizei würde nicht nurFragen stellen, sondern auch ihre Papiere überprüfen. Rosl wusste Bescheid!
    Ihr Blick wanderte von der Wagentür zur Toilettentür und zurück. Immer hin und her. Sie horchte, doch die anderen Kollegen waren weit weg.
    Ich könnt nachschauen und dann abhauen, dachte Rosl. Noch ein, zwei Minuten lang zögerte sie, dann siegte dieses merkwürdige Lustgefühl in ihr, dieses Kribbeln in ihrem Bauch, das ihr Herz schneller schlagen ließ und das Atmen noch schwerer machte. Nein, es war nicht eigentlich Lust, mehr Angstlust, gepaart mit einer Gier, die stärker war als Neugier.
    Ganz langsam näherte sich Rosl erneut der Toilettentür und beschloss, es diesmal zu machen wie die Polizisten in Fernsehkrimis. Sie schluckte, atmete tief ein und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür. Es gab einen Ruck, und die Öffnung war jetzt breit genug für ihren Kopf. Rosl fasste die Tür nicht an, so blöd war sie nicht. Auch das kannte sie aus Fernsehkrimis. Keine Fingerabdrücke hinterlassen! Nur den Kopf steckte sie durch den Spalt, während die Herzschläge in ihrer Brust dröhnten und gleich darauf zweimal stolperten, denn die Frau, deren Körper hinter der Toilettentür am Boden lag, war eindeutig tot. Seltsam verrenkt lag sie da, mit offenem Mund und starren Augen, die Arme ausgebreitet.
    Rosl zog ihren Kopf zurück. Das Kribbeln in ihrem Bauch war plötzlich zu einem Zittern geworden, das den ganzen Körper erfasste und in eine Art Schüttelfrost überging. Sie biss die Zähne zusammen, weil sie fürchtete, mit ihnen zu klappern. Und dann hörte sie Schritte. Jemand kam den Gang entlang. Kam genau auf sie zu, war schon da. Rosl bückte sich nach einer Mülltüte, faltete sie mit zitternden Händen auseinander, schaute nur auf die Schuhe des Unbekannten. Es waren Turnschuhe.
    «Alles in Ordnung?», sagte eine Stimme über den Turnschuhen, eine männliche Stimme, und Rosl erinnerte sich an die Stimme. Es war einer aus der Putzkolonne, ein Legaler, der für den Chef ab und zu Kontrollrunden machte.
    «Jaja», murmelte sie und schüttelte den Plastiksack aus. Schüttelte und schüttelte.
    «Wo ist denn die Sefika?» Die Turnschuhe gingen nicht weg.
    «Grade auf ’m Klo!», log Rosl. Plötzlich war ihr speiübel.
    «Ja dann», sagte der Legale und ging langsam weiter. Hau endlich ab, dachte Rosl und wischte sich die Hände an der Hose ab. Sie schwitzte immer an den Händen, wenn sie sich aufregte. Die automatische Tür zwischen den Wagen ging auf und blieb offen, ewig, so schien es ihr. Endlich schloss sie sich wieder.
    Rosl ließ den Plastiksack fallen und versuchte zu denken. War die Frau alt oder jung gewesen? Sie erinnerte sich nicht einmal an ihre Haarfarbe oder ihre Kleidung. Nur an diesen offenen Mund und die Augen. Noch einmal schob sie die Toilettentür auf und schaute hinein. Warum, wusste sie selbst nicht. Diesmal nahm sie mehr wahr. Die tote Frau sah ziemlich jung aus. Höchstens dreißig. Ihr halblanges Haar war rot. Gefärbt, dachte Rosl.
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