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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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stets freundlich – was man von vielen Kollegen nicht behaupten konnte   –, hatte Humor und sah immer verschlafen aus. Trotzdem nahm er meistens mehr wahr als die anderen, besaß die Fähigkeit, Hinweise zu verknüpfen und Schlüsse zu ziehen. Peter Baumann, Lauras engster Mitarbeiter, machte sich häufig über Lauras Zuneigung zu dem jungen Kriminaltechniker lustig.
    «Was meint denn
dein
Andreas dazu?», fragte er gerne; Laura reagierte inzwischen nicht mehr auf Bemerkungen dieser Art.
    «Wo steckt denn Baumann?», fragte Andreas Havel und zog fragend die Augenbrauen hoch.
    «Ist wahrscheinlich auf dem Weg hierher», erwiderte Laura. «Falls nicht, dann schläft er noch. Wir konnten ihn nämlich nicht erreichen.»
    «Endlich mal ein vernünftiger Mensch», grinste Andreas. «Alle Systeme abschalten und bei Freunden übernachten, das ist die einzige Möglichkeit, diesem Zirkus mal zu entkommen.»
    «Außer man hat Dienstbereitschaft!», mischte sich der Arzt ein. «Sonst kann man nämlich schnellstens seinen Job verlieren.»
    Andreas Havel lachte auf und rieb sein rechtes Auge, ehe er sorgfältig Latexhandschuhe über die Hände zog. «Wir sind immer dienstbereit, Herr Doktor! Außer wir fliegen im Urlaub zu den Quellen des Amazonas oder nach Papua-Neuguinea ohne Handy und ohne eine Anschrift zu hinterlassen. Wir sind nämlich chronisch unterbesetzt, aber davon lassen sich die Gewaltverbrecher leider nicht beeinflussen.»
    «Es reicht, es reicht!» Der Arzt hob abwehrend die Hände. «Ich fahre schon mal ins Institut. Wie lange werdet ihr noch brauchen, bis ihr sie weiterschicken könnt?»
    «Eine halbe Stunde!» Havel schien eher amüsiert als beleidigt über die Unterbrechung seines Redeschwalls.
    «Ich werde auch gehen», sagte Laura, steckte beide Hände in ihre Jackentaschen und zog die Schultern ein bisschen hoch. Ihr war kalt. Sie nickte den Spurensicherern zu. Als sie sich anschickte, aus dem Zug zu klettern, reichte der Arzt ihr die Hand. Laura nahm sie, obwohl sie es eigentlich nicht wollte.
    Schweigend ging sie neben Dr.   Reiss ans Ende des Bahnsteigs, wo in diesem Augenblick Kommissar Baumann auftauchte, mit zerzausten Haaren und flatterndem, viel zu kleinem Mantel.
    Wieso Mantel, dachte Laura verwirrt. Er hat noch nie einen Mantel getragen.
    «Tut mir Leid, Laura!», keuchte er. «Ich wollte einmal in Ruhe   … es ist Mittwoch, mein freier Tag   …!»
    «Worüber regst du dich eigentlich auf?», fragte Laura. «Du hast mehr Gutscheine als nur einen ruhigen Abend. Schließlich hast du eine Woche lang mit meinem Vater Karten gespielt, jeden Abend in deiner Freizeit!»
    «Jaja», murmelte Baumann. «Trotzdem. Es gibt nichts Unangenehmeres als einen Mord im Zug, das weißt du genau. All die Leute, die man überprüfen muss – das ist uferlos!»
    «Es ist noch viel schlimmer!» Laura verzog das Gesicht. «Die Leute waren schon weg! Wir müssen sie erst noch ausfindig machen – einen Zeugen nach dem anderen!»
    «Musst du das jetzt sagen?»
    Laura zuckte die Achseln.
    «Wo hast du eigentlich diesen Mantel geklaut? Er ist dir zu klein.»
    Verlegen klappte Peter Baumann den Mantel auf und zu. Es war ein taillierter Trenchcoat mit rot kariertem Futter.
    «Ich war so verwirrt, als die Kollegen mich aus dem Bett geklingelt haben, dass ich mir einfach irgendwas angezogen habe. Der hier gehört einem Freund – und der wiederum hat ihn vor drei Tagen bei mir vergessen. Da war es nämlich noch nicht so kalt wie jetzt   …»
    Laura warf ihrem Assistenten einen langen Blick zu, und er drehte die Augen zur Hallendecke.
    «Kommissar Baumann», sagte sie freundlich, «es handeltsich um einen Damenmantel. Und du musst mir nicht erklären, wer die Dame ist. Es ist alles in Ordnung, wirklich alles in Ordnung!»
     
    Nein, dachte Laura beim Anblick ihres kleinen Arbeitszimmers im Präsidium. Nein, ich kann jetzt nicht mit diesen Routineermittlungen anfangen. Ich muss delegieren. Sie machte kein Licht, setzte sich im Dunkeln an den Schreibtisch. Es war hell genug, um die Umrisse der Möbel zu erkennen, der milchige Schein der Straßenlaternen drang durchs Fenster, nebelgebremst.
    Kleines Zimmer mit tiefen Schatten, dachte Laura   – Zimmer in einer Stadt, die im Nebel geschrumpft ist, als wäre der Himmel heruntergefallen.
    Baumann würde gleich kommen, mit Kaffee. Kaffee aus dem Automaten, in Plastikbechern. Abwaschwasser-Cappuccino. Laura hielt eine Hand in den Lichtstrahl und machte Schattenspiele auf ihrer
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