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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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Schreibtischplatte, eine Gans, einen Hund, einen Schmetterling mit nur einem Flügel.
    Sie sehnte sich danach, an einem anderen Ort zu sein – einem Ort mit hohem Himmel und warmer Luft. In der Toskana herrschte noch beinahe Sommer, hatte Angelo am Telefon gesagt. Das Mittelmeer sei ungewöhnlich warm für Anfang November, man konnte noch baden   …
    Ein einziges Mal waren wir gemeinsam am Meer, dachte Laura. Unsere Beziehung hatte gerade angefangen, da war sie schon wieder vorbei. Wie einmal im Meer schwimmen und zu Hause mit der Zunge das Salz auf der Haut ablecken. Eine Erinnerung, Illusion. Sie schüttelte den Kopf, zwang sich dazu, in ihr kleines Büro zurückzukehren.
    Dachte: Gut, dass Baumann eine Freundin hat. Eine mit Trenchcoat, die ihn dazu bringt, alle Systeme abzuschalten.Das würde ihre Beziehung zu Baumann erleichtern. Laura hatte mit ihm geflirtet, einfach so, weil die Bewunderung eines jüngeren Mannes ihr gut tat. Sie hatte es nicht ernst genommen, er schon. In den letzten Monaten war es immer schwieriger geworden.
    Er hat eine Freundin, ich habe einen Freund, dachte Laura. Vielleicht können wir jetzt endlich wieder normal miteinander umgehen. Sie knipste ihre Schreibtischlampe an und nahm einen Kugelschreiber, drehte ihn zwischen den Fingern. Auch bei Licht wirkte das Zimmer nicht größer, und die Schatten in den Ecken waren noch immer schwarz.
    Ich muss eine Liste von all den Ermittlungen schreiben, die ich nicht machen will, dachte Laura und schaltete die Lampe wieder aus. Habe ich einen Freund? Der Begriff passte nicht zu dem, was sie mit Angelo Guerrini erlebt hatte. Eher könnte sie den Commissario aus Siena als Störenfried bezeichnen – als einen, der sie aufstörte, aus einem Leben, in dem sie sich mühsam eingerichtet hatte. Sie hatte sogar angefangen, dieses Leben für ihr eigentliches zu halten, aber seit sie Angelo kannte, ahnte sie, dass sie sich selbst belogen hatte. Es ärgerte und amüsierte sie gleichzeitig – und wenn sie ganz ehrlich war, dann machte es ihr auch Angst. Wie dieser schwarze Schiffsbug, den sie in ihrem Traum gesehen hatte.
    Vielleicht ist es besser, wenn man manchmal nicht ganz ehrlich mit sich selbst ist, dachte Laura seufzend und legte einen Finger auf den Lichtschalter.
    «Bist du da?» Peter Baumann öffnete die Tür mit dem Ellbogen und balancierte zwei große Plastikbecher, war nur ein schwarzer Schattenriss gegen die grelle Neonbeleuchtung auf dem Flur.
    «Ich bin da!», murmelte Laura und drückte auf den Knopf, blinzelte in die plötzliche Helligkeit.
    «Warum sitzt du denn im Dunkeln?» Baumann stellte die Becher auf Lauras Schreibtisch ab und pustete auf seine Fingerspitzen.
    «Weil ich über die Ermittlungen nachgedacht habe, die vor uns liegen – manchmal kann ich im Dunkeln besser denken. Wir sollten eine schnelle Aufstellung der ersten Schritte machen und dann wieder ins Bett gehen. Es ist jetzt halb vier. Wir könnten theoretisch noch knapp drei Stunden schlafen!»
    Baumann ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen. Er trug noch immer den zu kleinen Damenmantel, und Laura bewunderte seine Souveränität.
    «Das haben wir ganz schnell!», sagte er und trank vorsichtig ein paar Schlucke des heißen Kaffees. «Ich hab schon zwei Kollegen losgeschickt, die dafür sorgen, dass die ganze Eurocity-Mannschaft morgen früh hier antritt. Sind fast alles Italiener und sollten morgen wieder Richtung Rom abfahren. Das Reinigungspersonal dürfte auch kein Problem sein, falls nicht alle schwarz arbeiten und nicht registriert sind. Mit den Passagieren wird es natürlich schwieriger – das wird dauern. Die Spurensicherung will ihren Bericht am späten Vormittag vorlegen, Reiss ist sicher schon um acht fertig, konnte es ja gar nicht erwarten, sich in die Eingeweide zu stürzen.»
    Laura runzelte die Stirn.
    «Die Krähe im Nebel», murmelte sie.
    «Was?»
    «Krähe im Nebel!», wiederholte sie lauter. «Er kam mir heute Nacht vor wie eine Krähe im Nebel.»
    Dachte: Jetzt habe ich es Peter erzählt, ehe ich es Angelo sagen konnte. Ich wollte es Peter gar nicht erzählen.
    «Kein schlechter Vergleich», nickte Baumann. «Aber du solltest mir solche Bilder nicht in den Kopf setzen. Jetzt werdeich ihn immer als Krähe sehen – bei mir funktioniert das so! Hast du für mich auch ein Tier auf Lager?»
    Nachdenklich betrachtete Laura den jungen Kommissar. Er hatte sich in letzter Zeit einen Bart wachsen lassen, und obwohl er ziemlich verschlafen aussah,
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