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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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stellst du mir rhetorische Fragen?»
    Laura spürte, wie sie rot wurde, trank einen Schluck Wasser, verschluckte sich, hustete. Dann endlich sah sie Angelo an und wusste, dass sie ehrlich sein musste – jedenfalls zu mindestens fünfzig Prozent.
    «Weil ich plötzlich ein bisschen Angst hatte   …» Sie sprach leise, sehr langsam. «Weil wir uns gerade so nahe waren, dass ich unbedingt einen Schritt zurückgehen musste. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, aber besser kann ich es nicht ausdrücken   …»
    Er hielt den Kopf leicht gesenkt, seine Augen forschten so intensiv in ihrem Gesicht, dass sie den Blick senkte.
    Die zweiten fünfzig Prozent der Antwort, dachte sie, werden mich gleich zerreißen. Ich liebe dich gerade so sehr, dass ich dich nicht ansehen kann, weil es mir wehtut.
    «Bene!»
, hörte sie ihn sagen. «Das kann ich verstehen. Also   … du willst wissen, wie es möglicherweise in Bertolucci aussieht. Und da ich ein Mann bin und lange mit ihm gesprochen habe, kann ich versuchen, es dir zu erklären. Es gibt eine Menge Männer, die ein perverses Verhältnis zur Macht haben. Das ist zwar eine Binsenwahrheit, aber sie hat fatale Auswirkungen. Ganz egal wo die Ursachen liegen, Bertolucci war offensichtlich ein Mann, der sich von Frauen nicht ernst genommen fühlte. Aber durch die Transfer-Organisation war er plötzlich in einer Position der Macht. Und die hat er brutal ausgenützt – zu Beginn vielleicht eher zaghaft, mit wachsendem Erfolg und der Erfahrung, dass die Frauen Angst vor ihm hatten, wurde er immer dreister. Das führte so weit, dass er sich irgendwann richtig mächtig fühlte   … so mächtig, dass er Zuwiderhandlungen bestrafen konnte. Wer sich widersetzte, mit Verrat drohte, musste eliminiert werden, verdiente es nicht anders! Er ist ein Psychopath, Laura! Ein beinahe normaler Psychopath!»
    Sie strich vorsichtig das Tischtuch glatt.
    «Ja», sagte sie endlich. «So ungefähr habe ich es mir vorgestellt. Und er ist verdammt intelligent, weil er blitzartig auf die Idee kam, Pier Paolo als Täter zu präparieren, mit Pistole und Fingerabdrücken   … eben allem, was dazugehört!»
    Guerrini nickte.
    «Dazu habe ich übrigens auch eine Frage. Warum hast du ihn und diese Natali einfach ziehen lassen?»
    Der Kellner Alberto stellte schwungvoll eine Platte mit gebratenen Seezungen auf einem Bett aus gedünstetem Radicchio auf den Tisch und blieb erwartungsvoll stehen.
    «Grazie!»
, sagte Guerrini, wartete aber auf Lauras Antwort.
    «
Mangia!
Essen Sie, Signori! Der Fisch darf nicht kalt werden!»
    Guerrini hob den Blick zur Decke, legte dann sorgsam eine der Seezungen auf Lauras Teller, nahm selbst einen Fisch, machte endlich ein so grimmiges Gesicht, dass Alberto verstand und sich verzog.
    «Also warum?», fragte Guerrini.
    «Weil ihre Vergehen eigentlich keine waren. Weil ich ihren Mut bewundert habe und den unbedingten Willen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und ein neues Leben zu beginnen.»
    Er lächelte ihr zu.
    «Akzeptiert! Wollen wir essen?»
    «Warte noch! Flavio hat mit Clara geschlafen, weil sie es ihm angeboten hat   … Hättest du auch? Ich meine, wenn sie es dir angeboten hätte   … es interessiert mich einfach. Ich lerne sehr viel über Männer durch diesen merkwürdigen Fall!»
    Angelo Guerrini betrachtete den Fisch auf seinem Teller, als hätte der ihm die Frage gestellt.
    «Signori! Er wird kalt, der Fisch!», rief Alberto beinahe verzweifelt von der Küche her.
    «Porca miseria!»
, knurrte Guerrini. «Nein, ich hätte nicht mit ihr geschlafen! Jedenfalls ist es sehr unwahrscheinlich. Es macht mir keinen Spaß mit Frauen, die abhängig von mir sind. Diese Machtnummer reizt mich nicht.»
    «Wirklich nicht?»
    «Nein, wirklich nicht.»
    «Warum nicht?»
    «Ich weiß es nicht. Hab noch nie darüber nachgedacht. Es ist mir nur unangenehm.»
    «Danke für deine Antwort. Ich glaube, wir sollten jetzt den Fisch essen, sonst springt Alberto vor Verzweiflung in den Kanal.»
    «Gut   … sollen wir weiter von der Arbeit reden?»
    «Tun wir doch schon lange nicht mehr   … hast du’s nicht gemerkt?» Laura zwinkerte Guerrini zu und steckte ein Stückchen Fisch in den Mund.
     
    Als sie das Restaurant verließen, waren sie ein wenig beschwipst, denn der alte Mann an der Kasse hatte ihnen Grappa spendiert. Der Nebel war auf wunderbare Weise verschwunden, und am Himmel konnten sie sogar ein paar Sterne sehen. Das Pflaster der Fondamenti und Gassen
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