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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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ihrer Rückkehr ins Präsidium gab Laura Dr.   Libermann zu verstehen, dass sie über ihn Bescheid wusste, erfand eine schlüssige Geschichte, um ihrem Chef zu erklären, warum sie die Tatverdächtigen im Zug aus Florenz festnehmen konnte, obwohl sie nie in Florenz war und angeblich krank im Bett lag.
    Die Vernehmungen von Bertolucci erwiesen sich allerdings als sehr zäh. Der harmlos-geschwätzige Schaffner veränderte sich in diesen Tagen. Sein Gesicht fiel in sich zusammen, seine Augen schienen einzusinken, nicht mehr nach außen, sondern auf seltsame Weise nach innen zu blicken. Er sagte kaum etwas, und Laura war kurz davor aufzugeben. Doch eines Nachmittags, als Laura ihn wieder und immer wieder fragte, warum er die Frauen umgebracht hätte, begann er plötzlich zu sprechen. Anders als zuvor – stockend, langsam, in knappen Sätzen.
    «Sie hatten keine Angst.»
    «Keine Angst?»
    «Keine Angst und keinen Respekt!»
    «Vor Ihnen?»
    Bertolucci starrte an Laura vorbei an die Wand.
    «Ich verlange Respekt! Verstehen Sie? Respekt! Und Angst sollen sie haben, die verdorbenen Stücke!»
    «Weshalb?»
    «Weil sie es nicht wert sind!»
    «Was wert sind?»
    «Dass man so ein Theater um sie macht! Das sind keine anständigen Frauen!»
    «Haben Sie deshalb Sex gefordert?»
    «Nein, nein!» Er lachte plötzlich fast hysterisch. «Sie verstehen gar nichts, Commissaria! Überhaupt nichts! Ich habe ihnen nur ihren Platz auf der Welt gezeigt. Das war alles! Aber diese beiden! Diese beiden dachten, dass sie es sich erlauben könnten!»
    «Was erlauben, Bertolucci?»
    «Dachten, sie wären was Besseres. Haben mich beleidigt, ausgelacht! Die Erste wollte 500   Euro. ‹Zu teuer für dich, was?›, hat sie gelacht. Ist nicht gut, so zu lachen. Gar nicht gut!» Seine Augen waren stumpf, schauten wieder nur nach innen.
    «Was glauben Sie, was passiert, wenn diese Nutten uns auslachen?» Er sprach plötzlich sehr laut.
    «Was passiert dann, Bertolucci?», fragte Laura atemlos.
    «Die machen, was sie wollen. Machen uns lächerlich. Lassen uns auf den Knien rutschen. Schlagen uns!»
    Er ist verrückt, dachte Laura.
    «Und die Frau, die Sie erschossen haben, was machte die?»
    Bertolucci sank in sich zusammen und antwortete nicht.
    «Was hat diese Frau gemacht? Ihr Name war übrigens Ana!»
    «Melden wollte sie mich, melden! Diese kleine gerissene
puttana
. Mit diesem jungen Mann hat sie geredet! Diesem Spitzel! Den haben sie geschickt, damit er mich ausspioniert! Sie hat mich bei ihm verpfiffen, diese Hure! Aber so leicht geht das nicht, nicht mit Bertolucci!» Er kicherte. Es klang wie Schluckauf.
    Danach verstummte er wieder, sah aber zufrieden aus. Laura schaltete das Aufnahmegerät ab und dachte, dass die Dinge sich an einem bestimmten Punkt einfach ineinander fügten. Wie selbstverständlich.
     
    In den letzten Tagen vor Weihnachten schrieb sie endlose Protokolle, und dazwischen kaufte sie sogar Weihnachtsgeschenke ein. Sie trauerte mit ihrem Vater über das Verschwinden von Pier Paolo. Außerdem sorgte sie dafür, dass der Rangierarbeiter Stefan Brunner in der Lokalzeitung als Lebensretter gewürdigt wurde. Sie regte eine Überprüfung des deutschen Honorarkonsulats in Florenz an, telefonierte ab und zu mit Angelo Guerrini, aber nicht zu häufig, denn nach jedem Gespräch kroch Furcht in ihr Herz. Er hatte sich verändert seit der Nacht in München, klang distanzierter. Sie schickte ihm das Wüstenbuch und eine Tulpenzwiebel zu Weihnachten – per Express. Er revanchierte sich mit einem riesigen Kaktus, der am Heiligen Abend von einer Gärtnerei geliefert wurde und Laura um einen halben Kopf überragte. Auf der Karte stand: Ich liebe dich, Wüstenpflanze!
    Luca und Sofia fanden den Kaktus phantastisch – wie in der Wüste von Arizona! Nur der alte Emilio Gottberg durchschaute die Bedeutung dieses Geschenks, sagte aber zum Glück nichts und freute sich über das gebratene Kaninchen und die Perlhühner. Lauras Ex-Mann hatte mit Luca Tiramisu zubereitet, und so wurde das Weihnachtsmahl ein voller Erfolg. Außer Lauras Vater bemerkte niemand ihre innere Abwesenheit.
    «Wenn man erwachsen wird, muss man sich das Paradies selbst aufbauen!», sagte er leise, als sie in der Küche für ein paar Minuten allein waren. «Kein anderer kann es für dich tun, Laura!»
    Sie legte ihre Wange an seine und drückte ihn.
    «Mach dir um mich bloß keine Sorgen. Ich war schon drin im Paradies – mehr kann man in einem Leben wirklich nicht
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