Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
Vom Netzwerk:
engen Nacht, in der immer noch irgendwo ein schwarzer Schiffsbug lauerte.
     
    Nur ein einziger einsamer Zug stand in der Bahnhofshalle, als Laura ankam. Ein paar Sekunden lang verharrte sie auf der obersten Stufe der Treppe, die vom Parkplatz zur Halle führte. Zwei, drei Tauben flogen unter dem nebelverhangenen Dach herum, flatternde Lappen hinter einer Milchglasscheibe. Ein Wesen in Uniform kam auf Laura zu, unscharfe Gestalt, die langsam Konturen gewann, ein Geschlecht annahm und mit jedem Schritt jünger wurde.
    «Hauptkommissar Gottberg?», fragte die junge Polizistin.
    «…   in!», erwiderte Laura.
    «Was?»
    «Hauptkommissarin!»
    «Ach so! Entschuldigung   …»
    «Schon gut. Oder werden Sie gern als Polizeimeister angesprochen? Das sind Sie doch vermutlich.»
    «Ja, nein. Du liebe Zeit, Sie haben mich jetzt ganz durcheinander gebracht, Frau Hauptkommissarin.» Die junge Frau war rot geworden und trat verlegen von einem Bein auf das andere. Sie war ein bisschen zu klein und breithüftig für ihre Diensthosen, die oben spannten und unten Falten schlugen. Ihr Gesicht war offen und freundlich, die helle Haut überzogen mit feinen Sommersprossen.
    «Das wollte ich nicht!», sagte Laura. «Ich meine, Sie durcheinander bringen. Erzählen Sie mir lieber, was Sie über den oder die Tote im Eurocity wissen.»
    «Eigentlich nichts», erwiderte die junge Polizistin und wurde wieder rot. «Ich wollte Sie nur zum Tatort bringen, Frau Hauptkommissarin.» Sie wandte sich um und wies auf den einsamen Zug. Dann machte sie zwei Schritte und schaute auf Lauras Beine, die sich noch immer nicht bewegten.
    «Ich komm schon», lächelte Laura. «Aber irgendetwas werden Sie doch erfahren haben, oder nicht?»
    «Ich habe die Leiche nur ganz kurz gesehen. Es ist eine Frau. Sie liegt in der Behindertentoilette und hat einen vollkommen verblüfften Gesichtsausdruck   … vielleicht werden Sie denken, dass Leichen nicht verblüfft aussehen können, aber das war mein Eindruck. Dann kamen die von der Spurensicherung, und ich habe mit den Kollegen draußen gewartet. Dabei musste ich immer an diesen verblüfften Gesichtsausdruck denken, und   …» Sie verstummte und biss sich auf die Unterlippe.
    «Was und?», fragte Laura.
    «Entschuldigung, Frau Hauptkommissarin, ich rede zu viel. Das sagen meine Kollegen auch immer.»
    «Das kann ich nicht beurteilen, aber ich wüsste gern, was nach dem
und
kommt.»
    Die junge Frau seufzte, rückte ihren Gürtel zurecht, an dem ein langer Schlagstock baumelte.
    «Na ja», sagte sie endlich. «Ich hab mir vorgestellt, dass der Mörder jemand sein müsste, dem die Frau vertraut hat oder von dem sie keinen Angriff erwartet hat. Warum sollte sie sonst so verblüfft aussehen?»
    Sie hatten inzwischen Bahnsteig sechzehn erreicht und blickten am Zug entlang, dessen letzte Wagen im Nebel verschwanden. Ein paar Polizeifahrzeuge standen herum.
    «Sonst nichts?», fragte Laura.
    Sie näherten sich Wagen zwölf.
    «Etwas vielleicht», murmelte die Polizistin, «aber es ist nur so ein Gefühl – meine männlichen Kollegen würden mich auslachen, wenn ich es vor ihnen aussprechen würde.»
    «Ich bin ja nicht männlich!» Laura blieb stehen.
    «Nein, es ist Blödsinn. Ich hab nicht mal einen Hinweis darauf, was ich gespürt hab. Vielleicht bilde ich es mir ein – vielleicht hat es was mit mir zu tun, keine Ahnung!»
    «Also was ist es?»
    «Wollen Sie das wirklich wissen?»
    «Ja, wirklich!»
    Wieder trat die junge Frau verlegen hin und her, schaute schnell zu den Kollegen hinüber, dann auf ihre Schuhe und sagte: «Sie hat ausgesehen, als wollte sie was Neues anfangen, die Haare frisch getönt, fein angezogen. Die wollte nicht auf Besuch nach München – die wollte bleiben! Aber das ist nur ein Gefühl   …»
    Laura nickte und drückte kurz den Arm der jungen Kollegin. «Danke!», sagte sie. «Ich werd Ihnen sagen, ob ich ein ähnliches Gefühl habe, Frau Kriminalmeisterin!» Laura kletterte in den Eurocity, war mit drei Schritten mitten im Geschehen, drängte sich mit mindestens vier Kollegen in der kleinen Toilette.
    «Lasst mich erst mal schauen!», sagte sie und hob die Hände, schob die anderen zurück, ohne sie zu berühren. Schweigend verließen die Kollegen der Spurensicherung die Behindertentoilette, blieben im Gang stehen, zündeten Zigaretten an.
    «Raucht gefälligst draußen!», schnauzte Dr.   Reiss, der Gerichtsmediziner.
    Da stiegen sie alle aus, ohne zu murren, wie Jungs, die man bei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher