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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel
Autoren: Felicitas Mayall
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Der hat noch gelebt. Ist inzwischen im Krankenhaus   – Rechts der Isar, Neurologie. Könnte einen Zusammenhang mit der Leiche im Zug geben.»
    «Danke», sagte Laura. «Noch mehr erfreuliche Nachrichten?»
    «Das wär’s!»
    «Schicken Sie einen Wagen zu Baumann. Die sollen ihn aus dem Bett holen. Ich brauche ihn! Bis später!»
    Langsam setzte Laura einen Fuß nach dem anderen auf den Teppich neben ihrem Bett, betrachtete erst nachdenklich ihre Beine, schaute dann zu ihrem Sohn auf, der ihr in seinem Schlafanzug noch länger vorkam als sonst.
    «Dienst!», sagte sie und schnitt eine Grimasse.
    «Arme Mum!» Luca gähnte und rubbelte sein Haar.
    «Geh schlafen! Um halb sieben klingelt dein Wecker!»
    «Und du?»
    «Ich werde mich jetzt anziehen, zum Hauptbahnhof fahren und eine Leiche ansehen. Dann komm ich wieder her und frühstücke mit dir und Sofia.»
    «Guten Appetit!», antwortete Luca trocken.
    «Raus!» Laura warf das Kopfkissen nach ihrem Sohn.
    Blitzschnell verschwand Luca hinter der Schlafzimmertür, streckte aber noch einmal seinen Kopf durch den Spalt und meinte:
    «Eines kann ich dir versprechen, Mama! Ich werde nie zur Polizei gehen, und ich werde auch kein Arzt oder irgendwas, das mit Schichtarbeit zu tun hat! Gut Nacht!»
    «Gut Nacht!»
    Laura stemmte sich vom Bett hoch, streckte die Arme nach vorn, bis ihre Schultern schmerzten. Irgendwo in ihrem Schlafzimmer gab es noch immer diesen hohen schwarzen Schiffsbug, obwohl sie ansonsten ganz gut funktionierte und längst dabei war, in ihre Kleider zu schlüpfen. Sie zog an, was sie am Abend zuvor auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch geworfen hatte: Kniestrümpfe, Jeans, Rollkragenpullover. Der Reißverschluss ihres rechten Stiefels klemmte, und sie fühlte sich ein bisschen schwindlig, während sie vornübergebeugt an ihm ruckelte. Eine winzige Falte des Futters hatte sich im Reißverschluss verhakt.
    «Warum passiert so was immer dann, wenn ich es eilig habe?», stöhnte Laura. Sie gab ihren Versuch auf, humpelte – denn ihr rechter Fuß fand keinen Halt im Stiefel – ins Badezimmer, ließ kaltes Wasser über ihre Hände laufen, besprengte ihr Gesicht, bürstete ihr Haar mit halb geschlossenen Augen. Nur so konnte sie sich um diese Zeit ertragen.
    Im Flur kickte sie die Stiefel von ihren Füßen und schlüpfte in ein anderes Paar, nahm die gefütterte Jacke von der Garderobe und steckte den Schlüssel in die Innentasche. Ehe sie die Wohnung verließ, schrieb sie eine Nachricht auf einen bunten Zettel.
     
    Bin hoffentlich zum Frühstück wieder da! Falls nicht:
    Sofia – vergiss bitte dein Turnzeug nicht. Luca – ich wünsch
    dir Glück für deine Englisch-Schulaufgabe.
    Kuss
    Mama
     
    Sie klebte den Zettel auf den Küchentisch, schloss kurz die Augen. Sanfter Knoblauchgeruch hing noch in der Luft   – Erinnerung an die Bratensauce vom gestrigen Abendessen. Langsam sog Laura diesen Duft ein, fühlte sich plötzlich hungrig. Aber es war kein Hunger nach einem Stück Braten oder Käse, es war viel mehr.
    Allumfassender Hunger, dachte sie und lächelte über sich selbst. Dann verließ sie die Wohnung und zog leise die Tür hinter sich ins Schloss. Im Dunkeln lief sie die sechsundachtzig Treppenstufen hinunter, vorüber an den Türen der Nachbarwohnungen, lauschte dem Knarren des Holzes unter ihren Füßen und trat endlich auf die Straße. Als der feuchte kalte Nebel in ihre Lungen drang, hustete sie. Irgendein beißender Gestank hatte sich mit dem Nebel vermischt, und Laura fiel der Kamin im Häuserblock gegenüber ein, aus dem in letzterZeit regelmäßig schwarze Rauchwolken aufstiegen. Wo hatte sie den Wagen abgestellt? Der Nebel war so dicht, dass alle Autos gleich aussahen – in Watte verpackte graue Kästen. Während Laura die Autoreihe entlangging, dachte sie, dass kalter Nebel die Welt irgendwie unbewohnbar machte – klein, bedrückend, unheimlich. Und sie dachte, dass in so einer Nebelnacht kein Mord geschehen durfte, weil das Szenario zu sehr einem Horrorfilm glich und deshalb unwirklich wurde.
    Immer schneller lief sie an der endlosen Reihe geparkter Autos entlang, fand endlich ihren alten Mercedes, sprang hinein und hatte das Gefühl, einer unsichtbaren Gefahr entkommen zu sein. Eine Weile saß sie da, horchte in diese seltsame Stille hinein, in der alle Laute vom Nebel erstickt wurden, und dachte, dass sie nicht hier sein wollte. Nicht in diesem kalten Wagen, der nach den Zigarettenkippen ihres Ex-Mannes roch, nicht in dieser
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