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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle
Autoren: Martin Kordić
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Schwestern sind schon wach. Ich mache eine Meldung. Die Schwester nimmt mich an die Hand und geht mit mir zum Brunnen. Ich muss mich ausziehen. Die kippt drei Eimer Wasser über mich rüber. Ich bin sauber. Ich ziehe mich an. Als ich in die Sporthose steige, fällt das Taschenmesser auf den Boden. Die Schwester guckt mich an. Die Schwester hebt das Messer auf. Sie hält es in der Hand. Sie sagt nichts. Sie guckt mich an. Ich gucke sie an. Ganz langsam nehme ich ihr das Messer wieder aus der Hand.
    Nach dem Morgengebet fahren mich zwei Schwestern zum Erscheinungsberg. Aber diesmal steige ich nicht auf den Berg. Die Schwestern fahren weg und ich bleibe unten stehen. Ich gucke mir an, wie die Pilger bei den Geschäften rumspazieren. Die kaufen da kleine Figuren und Bilder von der Königin des Friedens. Ich bleibe da bestimmt einen Rosenkranz lang an der Schotterpiste stehen und gucke mir das an. Einmal wirft mir eine Frau sogar eine Münze in die Büchse. Dabei gebe ich ihr gar kein Wasser.
    Auf der anderen Straßenseite hält ein kleiner Bus. Und als ich genauer hingucke, sehe ich, dass da der Mann am Steuer sitzt, der auch die Krieger zu uns in die Gemeinschaft bringt. Das ist Bubka. Der winkt mich rüber. Obwohl das verboten ist, steigt der Junge in den Bus ein und fährt mit. Von nun an fahren sie jeden Morgen zu zweit zu dem kleinen Laden und abends wieder zurück. Der Junge sitzt vor Bubkas kleinem Laden und trinkt Fanta. Bis zu dem Tag, an dem es zu Gefechten im Sehergebirge kommt.
    Aber genau jetzt sitzt dieser Junge auf einem Marmorgrab, weit oben im Berg. Seit die Sonne aufgeht, schaut der Junge runter ins Meer. Der Junge nimmt das Heft und den Bleistift aus der Plastiktüte. Der Junge schreibt das letzte Kapitel.
WIE ICH MIR DAS GLÜCK VORSTELLE
    Wir sind viele. Immer bleiben wir zusammen. Um genau zu sein, sind wir seit gestern achtundzwanzig. Patma, Rani, Tusko, Jing, Jong, Hoang, Rosie, Kamala, Bona, Huso, Amira, Sawasa, Arosina, Kithaka, Nikolina, Jako, Mutara, Turkwel, Tano, Shukuru, Naipoki, Kilabasi, Bomani, Kwale, Narok, Lily, Ndololo und ich. Ndololo ist erst seit gestern dabei. Als die Sonne direkt über uns ist, steht der mit einem Mal bei uns am Wasserloch und geht nicht mehr weg. Die Mutter und die Tanten diskutieren mit der Oma, was sie jetzt machen. Ndololo sieht hungrig aus. Der ist erst ein paar Wochen alt. An seinen Augen sind ganz tiefe Falten. Wie wenn der uns damit was sagen will, rennt er immerzu mit dem Kopf gegen einen Baum. Der schafft es auch wirklich, ihn umzuknicken. Das dauert alles Ewigkeiten und die Oma schubst Ndololo ein paar Mal sogar weg. Aber nach fünf Schritten bleibt der wieder stehen und kommt zu uns zurück. Weil das alles so lang dauert, lege ich mich zusammen mit Arosina und Lily ins Gras und wir schlafen ein. Als Rosie uns weckt, sehe ich, dass Tante Amira diesem Ndololo was zu trinken gibt. Den restlichen Tag läuft Ndololo immer an der Seite von Tante Amira, damit er nichts von der Sonne abbekommt. Die Ohren von Ndololo sind nämlich ein bisschen angekokelt. Bestimmt läuft der die letzten Tage ganz allein hier rum und hat keinen, der ihm Schatten macht. Aber davon erzählt der nichts und ich frage auch nicht nach. Der sieht traurig aus. Und gerade eben, als die Sonne aufgeht und wir losziehen wollen, steht der wieder ein paar Längen von uns weg. Der steht einfach nur da und guckt in die Sträucher und schnüffelt rum. Tante Amira geht zu ihm und sogar Kithaka und Mutara gehen zu ihm. Alle streicheln ihn und dann kommt Ndololo endlich mit uns mit. Er läuft vor mir. Natürlich neben Tante Amira. Und wenn Ndololo manchmal nicht so schnell kann, gibt die Mutter ihm von hinten einen Schubs. Ich lasse mich sofort etwas zurückfallen, weil ich will, dass die Mutter mich auch anschubst. Wir laufen aber gar nicht so weit. Wir haben alle ordentlich Hunger. Wir gehen nicht mal raus in die Ebene. Wobei das jetzt gar keine Rolle mehr spielt. Vor ein paar Tagen regnet es und seitdem gibt es überall was zu fressen. Und ich sehe zum ersten Mal Schmetterlinge. Ich versuche direkt einen mit dem Rüssel zu treffen, aber ich bekomme es nicht hin, weil ich gar nicht richtig sagen kann, wie die fliegen. Nur Rosie schafft das. Aber die ist auch älter als ich und darf schon auf uns aufpassen. Die Oma führt uns zu ganz komischen Bäumen. Von denen kannst du nur die Hülsen fressen. Die Blätter musst du am Baum lassen. Rosie weiß das schon und zeigt Arosina, Lily und mir, wie das
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