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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle
Autoren: Martin Kordić
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Kriegern. Dabei sind die Krieger ja nur bei uns im Sehergebirge, weil die verletzt sind. Die können nicht mehr in den Großen Kampf und einer muss sich um die kümmern.
    Vormittags darf ich ins große Haus von den Schwestern. Ich muss Gebete und Lieder raussuchen. Nachmittags darf ich das Heft führen. Noch besser ist es, als der dicke Dim tot ist. Ich muss nicht mehr bei uns auf dem Gelände sein. Jetzt darf ich allein auf den Erscheinungsberg.
    Dass der dicke Dim stirbt, ist nicht lange her. Und die Krieger kommen schon, als der dicke Dim noch lebt. Aber bevor du das mit den Kriegern verstehst, musst du verstehen, wie wir leben. Sonst geht das alles durcheinander.
    Es gibt keine Mädchen bei uns. Nur Jungs. Meine Brüder. Und die Schwestern. Oft kommen Männer auf unser Gelände. Wenn wir was bauen, das wir nicht allein bauen können. Wenn du Zement gießen musst. Oder wenn du allein mit einem schweren Brett auf eine Leiter hochklettern musst. Wenn du Ziegel auftürmen musst. Dann kommen die älteren Männer aus den Dörfern drumherum und sagen uns, was wir tun müssen. Wir helfen. Wir schleppen Carepakete mit Werkzeug zur Mischmaschine. Oder das Brett zur Leiter. Ich nicht. Ich schreibe das auf. Die Brüder, die nicht so stark sind, sind mit den Schwestern bei den Ställen oder auf dem Acker. Da sagen uns die Schwestern, was wir machen müssen.
    Ein Bus fährt auf unser Gelände und da sind hinten ganz viele Fenster drin. Die Rahmen sind noch dran. An den Rahmen fehlt ein Stück oder einer schießt ein Loch rein. Mit den Fenstern bauen wir ein Gewächshaus. Das ist ganz einfach. Wenn die Sonne scheint, machen wir die Fenster auf und dazwischen wächst was.

    Und wenn es kalt ist oder regnet, machen wir die Fenster zu. Der Acker geht nicht kaputt. Der Regen prasselt auf die Fenster.

    Wir bekommen alle was zum Anziehen. Eine Sporthose und ein Unterhemd im Sommer. Eine Jogginghose und einen Pulli im Winter. Schuhe bekommen wir keine.
    Die Schwestern sagen: Auf dieser Erde erscheint uns Maria.
    Wir sagen: Maria, erscheine uns.
    Die Schwestern gehen auch barfuß. Die Männer, die uns beim Arbeiten helfen, haben richtige Schuhe an. Aber wenn du ein paar Monate ohne Schuhe rumspazierst, tut das auch gar nicht mehr weh. Und hier in der Gegend bist du ohne Schuhe sogar sicher auf den Felsen. Du merkst, wo es glatt ist. Ich sehe viele von den Pilgern, wie die hinfallen. Ich nicht. Meine Brüder auch nicht.
    Die Tage sind wie der Rosenkranz. Die Schwestern wecken uns. Wir beten. Wir frühstücken. Wir arbeiten. Wir beten. Wir essen zu Mittag. Wir arbeiten. Wir beten. Wir machen eine Pause. Wir arbeiten. Wir beten. Wir essen zu Abend. Wir beten. Wir schlafen.
    Keiner weiß, wieviel Zeit vergeht. Keiner weiß, wie viele Jahre er hier ist. Alles, was wir wissen, ist, dass Maria erscheint und dass die Krieger kommen. Da kämpfen die schon eine lange Zeit. Bei uns in der Gemeinschaft bekommen wir davon nicht viel mit. Manchmal hören wir, wie weit entfernt Granaten einschlagen. Bis zu uns kommen die aber nicht. Nur einmal, da sollen wir alle in den Keller vom großen Haus gehen. Und manche von meinen Brüdern freuen sich schon, dass es jetzt ordentlich knallt. Aber dann passiert gar nichts. Auf dem Kellerboden schlafen wir ein, weil auch das Licht aus ist.
    Der Tag, an dem die ersten Krieger kommen, ist ein heißer Tag. Ins Heft schreibe ich rein: Das Thermometer an der Kapelle zeigt an: 36 Grad. Das Thermometer am Stall zeigt an: 39 Grad. Und ich stehe jetzt mit ein paar Kindern am Acker und schreibe auf, dass der Blonde keine Kartoffeln mehr aufsammeln kann. Das Kind hat einen Krampf in der Hand, und immer wenn es nach einer Kartoffel greift, fällt sie ihm wieder runter in den Staub.
    Ein kleiner Bus fährt auf unser Gelände und bleibt direkt vor dem großen Haus stehen. Der Fahrer steigt aus und geht hinter den Bus. Als er wieder vorkommt, tauchen da sechs Männer auf. Dem ersten fehlt das rechte Bein. Dem zweiten fehlt das linke Bein. Dem dritten fehlt der rechte Arm. Dem vierten fehlt der linke Arm. Der fünfte und der sechste sehen nicht so kaputt aus. Ich laufe schnell hin, aber dann sind die schon alle im Haus und die Tür ist zu. Es dauert ziemlich lang, bis der Fahrer wieder rauskommt.
    Ich sage: Sagen Sie mir, was die Männer hier wollen?
    Der Fahrer sagt: Wie siehst du denn aus?
    Ich sage: Ich passe hier auf.
    Der Fahrer sagt: Und wie heißt du?
    Ich sage: Ich bin Viktor.
    Der Mann gibt mir die Hand. Wenn der bei
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