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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle
Autoren: Martin Kordić
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Wüste fahren und für lange Zeit keine Tankstelle und keine Imbissbude finden können. In dem Beutel ist Wasser aus dem Brunnen, in dem der dicke Dim liegt.
    Ich stehe oben auf dem Berg. Da wo die Jungfrau Maria vor vielen Jahren zum ersten Mal erscheint. Und immer wenn eine Gruppe von Pilgern kommt, knien die sich hin. Ich lasse was von dem Wasser in ihre Hände tropfen. Die Pilger trinken das.
    Ich sage: Die heilige Maria Mutter Gottes sei mit euch.
    Immer wenn ich den Pilgern was von dem Wasser gebe, werfen die mir eine Münze in die Büchse. Eine Woche lang gehe ich mit den Schwestern zusammen auf den Berg. Dann darf ich alleine hoch. Die Schwestern fahren mich bis unten an den Berg ran. Ich steige aus und schnalle mir den Stoffbeutel mit dem Wasser um. Ich gehe auf den Berg. Das dauert zweieinhalb Rosenkränze. Der Weg ist steinig.
    Nach zwei Wochen schon verbrennen die Schultern. Ich stehe da nur in der Sonne rum. Jeden Tag brennt die Sonne heißer. Ich werfe mir Staub auf die Schultern. Die Fliegen kreisen um meinen Mund. Ich brauche beide Hände für das Wasser und kann die nicht wegschlagen. Die Pilger sind immer Frauen. Frauen, die für ihre Söhne beten. Die Söhne sind die Krieger im Großen Kampf.
    Vor mir kniet eine Frau. Die ist so alt wie die Tante. Die betet ganz laut und weint. Ich stehe direkt vor ihr und höre zu. Die ist ganz schön wütend auf ihren Sohn und auch auf Maria. Ich kann gar nicht richtig verstehen, was die sagt, weil die so durcheinander spricht.
    Ich glaube, das ist so: Als die vom Militär den Sohn holen wollen, haut der ab. Da ist der noch nicht mal ein richtiger Mann. Der schafft es ganz allein in ein anderes Land. Da wohnt der jetzt mit anderen Männern zusammen, die auch vor dem Großen Kampf abhauen. Einer bringt die mit einem Bus zu einer Baustelle, wo die viel Geld verdienen. Aber der Sohn von der Frau hat Heimweh. Der hat so großes Heimweh, dass der sich in einen anderen Bus setzt und wieder zurückfährt. Hierher. Zu uns. Ins Land aller Völker. Die kassieren den natürlich sofort ein, als der ins Land reinkommt. Die drücken dem ein Gewehr in die Hand. Die geben dem einen Kuss links auf die Wange und einen Kuss rechts auf die Wange. Jetzt liegt der hinten in den Bergen bei der Stadt der Brücken. Der liegt da mit noch einem Krieger in einem Bunker und guckt den Berg runter. Wenn einer von unten hochkommt, knallt der den ab. Aber wenn der nicht so viel Glück hat, ist er eben zuerst tot, weil da einer eine Handgranate in den Bunker wirft. Die Mutter ist jetzt auf jeden Fall wütend auf den Sohn, weil der wieder hier zu uns zurückkommt. Die Frau wirft mir auch gar nichts in die Büchse. Die kniet vor mir und guckt mich nicht mal an.
    Wie wenn ich eine Antwort weiß, fragt die immer wieder: O Maria, kann die Sehnsucht denn so unbarmherzig sein?
DAS UNENDLICHE MEER
    Von hier oben sieht es so aus, wie wenn das Meer sich ins Land reindrückt. Wie wenn das Meer sich mit aller Kraft durch den Wald und durch die Schlucht ins Land schieben will. Dabei ist es ja genau andersrum. Der Fluss ist ewig unterwegs, weil der hier unbedingt ankommen will. Wie auch ich hier ankomme. Der Fluss trägt alles Leben und alle Toten und alle Geschichten. Aus allen Ländern und aus allen Völkern. Alles versinkt hier. Im Meer. Und wenn es irgendwann mal keine Geschichte mehr gibt, wenn keiner mehr was erzählt, wenn keiner mehr zuhört, ist das die Finsternis. Die Finsternis, aus der hier keiner mehr rauskommt. Auch du nicht. Egal wo du bist.
BUBKA
    Mitten in der Nacht wache ich auf. Es ist dunkel in unserem Zimmer. Ich kann die anderen Hochbetten nicht sehen. Es ist warm. Das Kopfkissen ist ganz nass. Ich glaube, dass ich Fieber habe. Aber dann merke ich, dass es von oben runtertropft. Der Beutel mit der Strulle hat ein Loch. Ich schlafe wieder ein.
    Die Sonne knallt in unser Zimmer. Maria, o Maria. Das Kopfkissen ist ganz nass. Das ist voller Blut. Meine Hände sind voller Blut. Die anderen Kinder schlafen noch. Ich steige aus dem Bett. Unter meinem Fuß spüre ich die Klinge von dem Taschenmesser. Ich verletze mich nicht. Ich halte mich oben am Gitter fest und da sehe ich, wie der Krieger aus dem Dorf der Verrückten im Bett liegt. Der ist tot. An seinem Hals ist ein Loch. Das ist gar nicht so groß. Das Blut tropft durch die Matratze runter zu mir aufs Kopfkissen.
    Ich nehme schnell das Taschenmesser vom Boden und klemme es mir unter die Rückenspinne. Ich gehe zum großen Haus. Die
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