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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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intellektuelle Beleidigung gar, dass Florin von seinen Reisen kofferweise kitschige Gerätschaften mitbrachte, Madonnenfiguren aus Gips, Weihwassertöpfchen und Plastikrosenkränze, Kanister mit Wunderwasser und Wackelpostkarten, auf denen der Gekreuzigte mit der Dornenkrone mal leidend den Blick senkt und mal verklärt gen Himmel schaut. Dana spürte mit jeder neuen Devotionalie, die ins Haus kam: Der Lebensweg ihres Mannes und der ihre würden sich niemals mehr kreuzen.
    Sie hatte sich bemüht. Jahrelang hatte Dana Pauker an längst verloren gegangene Verstandeskräfte appelliert. Sie beschwor seine Zeit als gestandener Direktor eines neurologischen Institutes und flehte ihn an, doch endlich wieder vernünftig zu werden. Vergeblich.
    Als sie am letzten Abend des vergangenen Jahrtausends, zehn Jahre nach der Revolution, die heimische Wohnstube für das Silvesteressen herrichten wollte, sah sie zu ihrer Bestürzung, dass Florin das Porträt des Conducators von der Wohnzimmerwand abgehängt hatte. Zehn Jahre hatte sie dafür gekämpft, dieses Bild hängen zu lassen, zehn Jahre Widerstand gegen die Beliebigkeit des historischen Bewusstseins, wie sie das nannte. Und nun hatte Florin das Porträt einfach von der Wand genommen und gegen die Fotografie einer Madonnenstatue ausgetauscht. Dana Pauker wusste: Sie hatte ihren Kampf verloren. Sie war allein. Die letzten Parteifreunde von einst hatten sich abgewendet, das Ehepaar Pauker war im Nichts der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Wer wollte schon mit einem gescheiterten Arzt verkehren, der mit einem Rosenkranz durch die Straßen lief und klebrige Bonbons verteilte?
    In einer letzten Aufwallung von Wut riss Dana das Marienbild von der Wand, zerrte ein Fenster auf und warf das Bild hinaus auf die Straße. Dann ging sie zum Medikamentenschrank. Während sie alles an Pillen in sich hineinschluckte, was sie in der Hast der Zornesblindheit zu greifen bekam, wunderten sich draußen die Spaziergänger, die mit Flaschen billigen Schaumweins unterm Arm auf dem Weg zu irgendeiner Silvesterfeier waren. Auf dem Asphalt der Strada Fortuna lag in zerschmettertem Holzrahmen unter zersplittertem Glas das Bildnis einer Madonna. Sie hielt ihre Hand schützend über den nackten Jesusknaben, der auf einer Weltkugel saß, und ihr rechter Fuß trat auf eine Mondsichel.
    Knapp acht Monate nach dem Beginn des neuen Millenniums tauchte ein ergrauter, aber rüstiger Mittsiebziger in Baia Luna auf. Am 14- August, am Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt, fragte er im Dorf nach Herrn Pavel Botev. Man schickte ihn zu mir. Ich erkannte ihn sofort. Sein stechender Blick hinter der runden Brille war nicht mehr so scharf wie auf den Fotografien, die ich aus meiner Jugend von ihm kannte, doch unverkennbar: Er war es. Er stellte sich mit einem fremden Namen vor, der mir entfallen ist, und bat mich, ihn folgenden Tags auf den Mondberg hinaufzuführen, zu der Kapelle der Madonna vom Ewigen Trost. Ich sagte zu.
    Beim Aufstieg zum Gipfel erzählte er mir seine Geschichte.
    Ich fragte mich natürlich, weshalb er sich ausgerechnet mich als seinen Begleiter gewünscht hatte. Heute denke ich, der alte Mann hat gewusst, dass ich seine Geschichte längst kannte, nicht in Einzelheiten, aber doch in wesentlichen Zügen. Oben auf dem Mondberg ließ er die Marienkapelle links liegen und schritt stattdessen zielstrebig zu der steilen Südflanke des Berges. Zu einem kleinen Friedhof mit fünf namenlosen weißen Kreuzen.
    »Welches Kreuz ist für Angela?« »Das in der Mitte«, sagte ich.
    Er kniete nieder, sprach ein Ave Maria und erhob sich wieder. »Ich danke Ihnen, Herr Botev.« Er reichte mir die Hand. Ich schlug ein.
    »Sind Sie am Ziel, Herr Doktor?«
    Er lächelte. »Ja, Herr Botev, schon bald. Sehr bald.«
    Dann sprang er in die Tiefe, stumm mit ausgebreiteten Armen, wie ein Adler. Er flog wie ein König der Lüfte, der kein König mehr sein wollte. Doktor Florin Pauker war frei.
    1
    Baia Luna, New York und die Furcht der Angela Barbulescu
    »Er fliegt! Er fliegt! Es lebe der Sozialismus! Ein Hoch auf die Partei!« Die drei Brancusi- Brüder Liviu, Roman und Nico stürmten in unsere Schankstube, abends, gegen acht, in bester Laune, mit geschwellter Brust und in mächtig weiten Spendierhosen.
    »Wer fliegt? «, fragte mein Großvater Ilja.
    »Na, der Hund! Laika! Das erste Lebewesen im All! Unterwegs mit Sputnik zwo! Gebrannten, Pavel! Zuika für alle! Aber avanti! Auf unsere Kosten«, tönte
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