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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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Wille ist, da ist auch ... «
    »Wer glaubt denn diesen Schwachsinn!«, schrie Nico Brancusi. Wutschnaubend sprang er auf und starrte die Umstehenden an. »Wer will diesen Mist hören? Verflucht noch mal!« Aus tiefstem Rachenschlund zog er den Rotz hoch und spuckte mit den Worten »Zigeunerlüge, Schwarzengeschwätz« auf den Dielenboden.
    Dimitru trommelte nervös mit den Fingern auf den Tisch. »Ich lüge nicht«, sagte er. »Wenn die Berechnungen stimmen, wird Sputnik in den Morgenstunden am Ehrentag meines Freundes Ilja zwischen dem sechsundvierzigsten Breiten- und dem vierundzwanzigsten Längengrad die transmontanischen Karpaten überfliegen. Dann wird es piepen. Genau über unseren Köpfen. Ich sage euch, was mit Sputnik anfängt, wird im Desaster enden. Und du, Parteigenosse Nico, wem du deinen blanken Arsch entgegenreckst, ist deine Sache. Aber ich bin ein Zigeuner, und ein Zigeuner kriecht niemals mit Bolschewiken unter die Decke.«
    Seine Brüder hielten Nico zurück, der dem Zigan an die Kehle springen wollte. Dimitru trank sein Glas leer, rülpste und verließ grußlos die Schankbutike, nicht ohne Großvater zuzuflüstern: »Ich warte auf dich. Punkt fünf.«
    Ich wusste nicht, was ich von der ganzen Aufregung halten sollte. Als ich zu Bett ging, fand ich kaum Schlaf. Wahrscheinlich hatte sich der Zigeuner mit seinen haarsträubenden Mutmaßungen über den piependen Sputnik wieder aus den Bahnen des geordneten Denkens katapultiert. Wie so oft.
    Doch mein nächtliches Gebet, das ich, zugegeben, meistens vergaß, ließ mich stutzen. »Vater unser im Himmel, dein Reich komme ... « Nun mit fünfzehn war mir schon klar, dass es mit dem Kommen des Reiches Gottes wohl in absehbarer Zeit nichts werden würde. Wenigstens nicht in Baia Luna. Doch mit dem Sputnik sah das anders aus. Das Reich Gottes breitete sich zwar nicht auf Erden aus, dafür aber stieg der Mensch hinauf zum Himmel. Zumindest ein irdisches Wesen. Ein Hund. Sicher würde das Tier bald verhungern. Aber was hatte ein toter Köter in der Unendlichkeit des Himmels verloren? Dort, wo der Herrgott mit seinen Heerscharen thronte, wie unser greiser Pfarrer Johannes Baptiste jeden Sonntag von der Kanzel predigte.
    Die Nacht ging schon dem Ende zu, als der Dielenboden knarrte. Ich hörte tapsende Schritte, wie VDn jemandem, der nicht gehört werden will. Großvater gab sich Mühe, meine Mutter Kathalina, Tante Antonia und mich nicht zu wecken. Die Schritte bewegten sich treppabwärts und verloren sich im Ladenlokal. Ich wartete eine Weile, zog mich an und schlich neugierig hinterher. Die Tür nach draußen stand offen. Es war stockduster.
    »Heilige Scheiße«, zischte eine Stimme. »Verfluchtes Mistwetter!« Es war Dimitru.
    »Sei leise, du weckst ja das halbe Dorf auf.«
    »Gebetet habe ich. Was sage ich, Ilja, gefleht habe ich zum Schöpfer, er möge diese verdammten Wolken mit einem Hauch seines allmächtigen Atems kurzerhand hinwegfegen. Und was macht er, wenn ein Zigeuner ihn ein einziges Mal um etwas bittet? Er schickt uns diesen Höllennebel. Bei dieser Suppe können wir den Sputnik vergessen.«
    Ich verbarg mich hinter dem Türpfosten und lugte ins Freie.
    Dimitru hatte recht. Tagelang hatte es wie aus Eimern gegossen, nun war der Nebel aus den Bergen heruntergekrochen. Nicht einmal der Schattenriss des Kirchturms war zu erkennen. Fünf dumpfe Glockenschläge drangen durch die Nacht. Ilja und Dimitru schauten zum Himmel. Horchten. Sie neigten den Kopf zur Seite, legten die Handflächen an die Ohren und lauschten erneut. Offenbar vergeblich. Enttäuscht schlurften die beiden in den Laden. Sie sahen mich nicht.
    »Ilja, ich überlege, ob es nicht vernünftig ist, noch mal für ein Stündchen ins Bett zu kriechen«, meinte Dimitru.
    »Es ist vernünftig.«
    Dann fiel der Blick des Zigeuners auf den Blechtrichter, mit dem Großvater gemeinhin das Sonnenblumenöl, das in Kanistern aus Walachien geliefert wurde, für die Dorffrauen in Flaschen abfüllte.
    »Mensch, Ilja. Das ist es. Der Trichter. Wir benutzen ihn als Megafon. Als Flüstertüte, nur umgekehrt. Du kennst doch das Prinzip der Schallwellenbündelung. Sonatus concentratus oder so ähnlich. Damit lässt sich selbst der leiseste Anflug eines Geräusches einfangen.«
    Erneut gingen beide nach draußen und steckten den Blechtrichter zum Zweck der Tonverstärkung mal in das linke, mal in das rechte Ohr. Eine gute Viertelstunde ließen sie abwechselnd ihre Köpfe in alle Himmelsrichtungen
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