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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam
Autoren: Rolf Bauerdick
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erschreckten mich, sondern die Kaltblütigkeit, mit der Fritz die Reime in sein gutes Schreibheft notiert hatte. Doch jede Furcht vor Entdeckung durch die Barbu erwies sich als unbegründet. Da sie bei den Kontrollen der Hefte keinen Eifer an den Tag legte, schien sie Fritz' unbotmäßige Dichtereien nie zu bemerken. Was ihn ermutigte, seine Parodien auf die Partei mit wachsender Begeisterung zu irrwitzigen Grotesken fortzuschreiben. Bis sein Vater Heinrich das Schreibheft entdeckte. Danach erschien Fritz Hofmann zwei Wochen nicht zum Unterricht und war fortan mit einem Entschuldigungsbrief seiner Mutter von den Leibesertüchtigungen befreit, ohne dass Fritz ein Wort darüber verlor, was in seinem Elternhaus geschehen war.
    Bei den Besuchen meines Schulkameraden bekam ich mit, dass Heinrich Hofmann trotz seines urdeutschen Namens den Traditionen seiner Landsleute keinen Wert beimaß. Unter den deutschstämmigen Sachsen, deren Vorfahren sich schon vor Generationen in Baia Luna angesiedelt hatten, lebte die Familie Hofmann als Einzige nicht von der Land- und Viehwirtschaft. In ihrem Hof gackerten nicht einmal Hühner. Hofmann mied den Umgang mit den Dörflern, und man ließ ihn gewähren. Nur manchmal sah oder hörte ich ihn, wenn er in schwarzer Lederkluft nach Kronauburg brauste, mit einem röhrenden Motorrad italienischer Fabrikation, eine schwere Maschine, die sich niemand sonst in Baia Luna hätte leisten können.
    Die Woche über betrieb Heinrich Hofmann in der Bezirksstadt ein Lichtbildstudio. Gingen die Leute früher zu Herrn Hofmann, wenn sie ein Erinnerungsbild von ihrer Hochzeit oder Fotos für ihre Ausweispapiere brauchten, so verdiente er in den fünfziger Jahren sein Geld mit der Erstellung künstlerischer Porträtstudien. So nannte Fritz die Tätigkeit, die seinem Vater wohl ein stattliches Einkommen bescherte. Auf alle Fälle kam mir die Familie Hofmann recht begütert vor. Fritz' Mutter Birta war die einzige Frau im Dorf, die zum Kochen nicht das Holzfeuer anheizen musste. Sie stellte ihre Töpfe auf elektrifizierte Eisenplatten, die mit der bloßen Drehung eines Bakelitknopfes vor Hitze erglühten und jeden Wasserkessel in Sekundenschnelle zum Pfeifen brachten. Birta war eine Frau Mitte dreißig, mit kurzen blonden Locken und stahlblauen Augen. Wenn sie lachte, leuchteten ihre weißen Zähne zwischen ihren roten Lippen. Mir fiel jedoch auf, dass sie nur dann gelöste Heiterkeit ausstrahlte, wenn ihr Mann in Kronauburg weilte. Saß Heinrich Hofmann an den Wochenenden in seinem Lesesessel unterhalb des Plakates mit der Fackelmadonna aus New York und einem Regal mit vielen Büchern eines gewissen F. W. Nietzsche, dann machte Birta auf mich immer einen nervösen Eindruck. Sie kaute an ihren Fingernägeln, und ihr Lachen wirkte gequält. Auch Fritz wurde schlagartig schweigsamer, sobald sein Vater den Raum betrat. Anders als in der Schule verkniff er sich freche Bemerkungen und beschränkte seine Äußerungen auf ein knappes Ja oder Nein.
    Ich konnte Fritz' Vater nicht ausstehen. Wenn ich ihm beim Betreten der Hofmann'schen Wohnstube die Hand reichen wollte, ließ er für einen Augenblick eines seiner NietzscheBücher sinken und schaute mit stechendem Blick über den Rand seiner Lesebrille. Dann zuckte er kurz mit dem Kopf wie jemand, der sich einer lästigen Fliege entledigt, und widmete sich wieder seiner Lektüre. Irgendwann hatte ich geschworen, Herrn Hofmann zu ignorieren. Der Schwur hielt bis kurz vor den Herbstferien im Oktober 1957.
    In der letzten Unterrichtsstunde trug die Barbu uns älteren Schülern auf, die Steigerungsraten beim Export von Mastschweinen in die Sowjetunion zu berechnen. Wie so oft schloss ich mit Fritz eine Wette ab, welche abstrusen Ergebnisse noch von der Lehrerin abgenickt würden. Ich brachte eine Sieben mit vierzehn Stellen hinter dem Komma zu Papier. Als Fritz das Spiel auf dreiundzwanzig Ziffern steigerte, tätschelte die Barbu ihm die Schulter. »Akkurat, akkurat. Deine Genauigkeit wird dir noch Vorteile bringen, Fritz. Unschätzbare Vorteile.«
    Fritz schaute zu ihr auf, nickte mit gespielter Bravheit und sagte: »Schönen Dank, wunderschönes Fräulein Barbulescu.«
    Ich wunderte mich, dass Fritz nicht einmal grinste, während ich selbst nicht an mich halten konnte und losprusten musste. Was solches Gelächter hieß, war allen in der Klasse klar. Die Barbu hob ihren Stock und starrte mich an. Dann holte sie aus. Ich duckte mich.
    In diesem Augenblick geschah etwas,
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